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Brunetti 14 - Blutige Steine

Brunetti 14 - Blutige Steine

Titel: Brunetti 14 - Blutige Steine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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weiter.
    »Du meinst, wenn man sich für die Bedürfnisse eines Ausländers einsetzt und gleichgültig über den Tod eines anderen hinweggeht?« Wieder nannte Paola die Dinge schonungslos beim Namen.
    »Ja.«
    Um es sich bequemer zu machen, verlagerte Paola ihr Gewicht und lehnte eine Schulter an Brunettis Brust. »Sieh mal, Azir kennt und mag sie, in ihr hat sie ein echtes Gegenüber; der ermordete Afrikaner dagegen war für sie ein gesichtsloser Fremder. Und in ihrem Alter hat man wahrscheinlich noch keinen Blick dafür, wie herzergreifend schön sie sind.«
    »Bitte was?«
    »Herzergreifend schön«, wiederholte Paola.
    »Die vucumprà?« fragte Brunetti erstaunt.
    »Ja, was für schöne Menschen!« sagte Paola versonnen. Und dann, als sie Brunettis verdutztes Gesicht sah: »Hast du sie dir schon einmal richtig angesehen, Guido? Sie sind wirklich wunderschön: Schlank und hochgewachsen und wohlproportioniert, und viele von ihnen haben Gesichter wie von alten Holzschnitten.« Und als er immer noch skeptisch schien, fragte sie spöttisch: »Oder sind dir übergewichtige Touristen in zu knappen Shorts lieber?«
    Wohl wissend, daß darauf keine Antwort zu erwarten war, kehrte Paola zum Thema zurück. »Es handelt sich dabei vermutlich auch um ein Klassenphänomen, so ungern ich das zugebe.«
    »Klassenphänomen?« wiederholte Brunetti zerstreut, denn er war in Gedanken immer noch bei der Schönheit der Afrikaner.
    »Azirs Eltern sind Akademiker. Der ermordete Schwarze war ein Straßenhändler.«
    »Angenommen, es hat etwas damit zu tun - ist das nun besser oder schlechter?«
    Paola antwortete erst nach reiflicher Überlegung. »Besser, würde ich sagen.«
    »Und wieso?«
    »Weil es sich leichter korrigieren läßt.«
    »Da komme ich nicht mit«, gestand Brunetti, dem es öfter so erging, wenn Paola sich in abstrakte Betrachtungen verstieg.
    »Du mußt dir das so vorstellen, Guido: Wenn Rassenvorurteile dahinterstecken, die Idee, daß die einen den anderen überlegen sind, dann hat sich das irgendwo tief in ihrem Hirn eingenistet, in einem archaischen Winkel, dem mit Vernunft kaum beizukommen ist. Sollte sie dagegen bestimmte Leute für etwas Besseres halten, weil die mehr Geld haben oder gebildeter sind als andere, dann wird sie früher oder später genügend Gegenbeispiele kennenlernen, um einzusehen, wie verblendet sie war.«
    »Sollten wir ihr das sagen?« fragte Brunetti, obwohl ihm vor der Antwort bangte.
    »Nein«, entgegnete Paola ohne Zögern. »Chiara ist ein intelligentes Mädchen, sie wird schon von selber draufkommen.«
    Und als Brunetti schwieg, setzte sie hinzu: »Wenn wir Glück haben - und sie auch -, dann erkennt sie's so oder so.«
    »Weil du es auch geschafft hast?« Brunetti war noch mit keiner ihrer Erklärungen dafür zufrieden gewesen, wie eine Tochter aus so unermeßlich reichem Haus zu einer sozialen und wirtschaftlichen Gesinnung gelangen konnte, die sich so sehr von der ihrer Klasse und den meisten aus ihrer Familie unterschied.
    »Für mich war es, glaube ich, leichter«, sagte Paola. »Schon weil ich diesen Vorurteilen nie wirklich erlegen bin. Man hat mich auch nicht in dem Glauben erzogen, wir seien etwas Besseres. Anders, ja: So wie die Faliers mit Reichtümern gesegnet waren, hätte sich das auch schwerlich verbergen lassen.« Paola wandte sich ihm zu und legte den Kopf schief, wie sie es zu tun pflegte, wenn sie auf einen neuen Gedanken gestoßen war. »Aber auch wenn es dir schwerfallen wird, das zu glauben, Guido: In meiner Kindheit habe ich uns gar nicht als reich empfunden. Papa ging schließlich jeden Tag zur Arbeit, genau wie alle anderen Väter. Wir hatten kein Auto, machten keine teuren Ferienreisen. Aber ich glaube, mich hat noch etwas anderes geprägt«, schloß sie, und Brunetti beobachtete das Spiel der Gedanken auf ihrem Gesicht, während sie darüber nachsann.
    »Es war mehr das, was zu Hause gutgeheißen oder mißbilligt wurde, ohne daß man viele Worte darüber verlor. Was man mir als das Wesentliche an einem Menschen vermittelte.«
    »Gib mir ein Beispiel«, bat Brunetti.
    »Das Schlimmste - also der schlimmste Tadel - traf diejenigen, die nicht arbeiteten. Was für einer Arbeit jemand nachging, ob er Bankdirektor war oder Handwerker, darauf kam es meinen Eltern nicht an. Entscheidend war, daß man arbeitete und seine Arbeit ernst nahm.«
    Paola lehnte sich zurück, so daß sie ihm ins Gesicht sehen konnte. »Ich glaube, darum hat mein Vater dich von Anfang an so

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