Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen

Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen

Titel: Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
Vom Netzwerk:
sich die Türen erfahrungsgemäß leichter, und man durfte auf mehr Entgegenkommen rechnen.
    Paola wollte sich im Laufe des Nachmittags mit dem Conte in Verbindung setzen: Ihr Vater war gerade in Südamerika unterwegs, und sie mußte, bevor sie ihn anrief, erst seinen genauen Standort in Erfahrung bringen, um den Zeitunterschied zu berücksichtigen.
    Brunetti, der den Ausgang des Telefonats kaum erwarten konnte, war in Gedanken so mit seinem Schwiegervater beschäftigt, daß er im ersten Moment gar nicht wußte, worum es ging, als Vianello gegen elf in sein Büro gestürmt kam und verkündete: »Pedrolli steht in der Kartei!«
    Brunetti sah den Inspektor verständnislos an und fragte: »Welche Kartei?«
    »Na, die im Computer. Von Dottor Franchi. Er ist seit vier Jahren Kunde.«
    »In der Apotheke?«
    »Ja.«
    »Pedrolli?«
    »Ja.«
    »Und Franchi hat sich Zugang zu seiner Krankenakte verschafft?« Erst jetzt bemerkte Brunetti den Ordner in Vianellos Hand.
    »Steht alles hier drin!« Vianello trat neben Brunetti an den Schreibtisch und legte den Ordner vor ihn hin. Er klappte ihn auf, blätterte den Stoß Papiere durch und zog vier oder fünf Seiten heraus. Brunetti erkannte kurze, sehr klein gedruckte Absätze, vorwiegend Zahlen und Daten. Als er das erste Blatt genauer betrachtete, entdeckte er weiter unten lateinische Ausdrücke, noch mehr Daten sowie knappe, ihm weitgehend unverständliche Kommentare.
    Vianello breitete die Blätter für beide gut einsehbar auf dem Tisch aus. »Diese Dateien gelten nur für die letzten sieben Jahre«, sagte er. »Weiter ließen sie sich nicht zurückverfolgen.«
    »Und wieso nicht?«
    Vianello machte eine vage Handbewegung. »Wer weiß? Vielleicht sind die Originalakten verlorengegangen? Oder die Umstellung auf EDV ist noch nicht weiter gediehen? Such dir was aus.«
    »Hast du die Einträge gelesen?« fragte Brunetti.
    »Nur die ersten beiden Absätze«, sagte der Inspektor, den Blick bereits auf den dritten gerichtet.
    Gemeinsam gingen sie Seite für Seite durch. Den Daten zufolge hatte Pedrolli vor drei Jahren, also ein Jahr nach seiner Eheschließung, erstmals Fruchtbarkeitsspezialisten konsultiert.
    Zwei der Blätter endeten mit Laborberichten: Brunetti sah Rubriken mit endlosen chemischen Zeichen und daneben Zahlenkolonnen, mit denen er wenig anfangen konnte. Denn auch bei vertrauten Namen wie »Cholesterin« und »Glukose« wußte er nicht, was die dazugehörigen Ziffern über Pedrollis Befinden aussagten.
    Die letzte Seite erwies sich als Ausdruck einer Mail, die vor zwei Jahren von einer Klinik in Verona an die ULSS geschickt worden war.
    »Diagnostizierte Deformation der Spermienleiter, mögliche Ursache Trauma in der Adoleszenz«, las Brunetti. »Hodenuntersuchung erbringt Nachweis an sich normaler Spermienproduktion; dennoch ist, infolge Verschluß der Tubuli, völlige Sterilität zu attestieren.«
    »Armer Teufel, was?« brummte Vianello.
    Liebe und Triebe sind der Nährboden und Lebenssaft für Klatsch und Tratsch. Sex ausgeklammert, bleibt relativ wenig Spannendes, was man beim Tratsch über die lieben Nachbarn durchhecheln könnte, bis auf deren finanzielle und berufliche Verhältnisse vielleicht, oder eben ihren Gesundheitszustand. Themen, die manch einer interessant finden mag, die aber keinesfalls die gleiche überwältigende Faszination ausüben wie ein sexuelles Abenteuer mit handfesten Folgen. Pedrollis Affäre und die Frucht, die angeblich daraus hervorgegangen war - nicht zu vergessen die noble Großherzigkeit, mit der seine Frau das Kind aufgenommen hatte -, so eine Geschichte war im Nu in aller Munde.
    Mit dem Gutachten aus Verona war aber nun der Beweis erbracht, daß, allen Gerüchten zum Trotz, Pedrolli gar nicht der Vater sein konnte und folglich auf anderem Wege zu dem Kind gelangt sein mußte. Den Befund brauchte man bloß noch der Polizei zuzuspielen, und schon käme Pedrolli in den Kreis der Verdächtigen, gegen die wegen illegaler Aneignung eines Kindes ermittelt wurde, das sie definitiv nicht gezeugt hatten. Anhand der Geburtsurkunde war es ein leichtes, die Kindsmutter ausfindig zu machen, und ab da bloß noch eine Frage der Zeit, wann die Staatsmacht anrückte, um den kleinen Alfredo »zu befreien«. Ein braver Bürger, dem die Moral über alles ging, sähe sich fast gezwungen, einen solchen Tatbestand den Behörden anzuzeigen, oder nicht? Es sei denn, sein Gewissen würde, vielleicht in regelmäßigen Abständen, durch eine stattliche Summe

Weitere Kostenlose Bücher