Bruno Chef de police
Schule gegangen und hat gerade sein erstes Jahr im
lycée
in Périgueux abgeschlossen. Er dürfte also siebzehn sein. Unter der Woche wohnt er im Internat, und er kommt nur an den Wochenenden nach Hause. Ein ganz normaler Junge. Tennis spielt er recht gut, für Rugby interessiert er sich kaum. Im Winter fährt er mit seinen Eltern Ski. Übrigens hatte er Momu als Mathematiklehrer - das ist der Sohn des Ermordeten.«
»Ist doch schön, wenn man sich in seiner näheren Umgebung so gut auskennt.« Isabelle lächelte ihn an. »Was würde ich ohne Sie tun? Danke, Bruno. Wenn Sie bitte einen Augenblick warten würden, ich will Jean-Jacques Bericht erstatten. Vielleicht ist es nur ein Zufall, der nichts weiter bedeutet, aber...«
Die Kriminaltechnik war mit ihrer Arbeit noch nicht fertig und wartete auf den Abgleich der Fingerabdrücke. Doch auf Isabelles Schreibtisch lag bereits ein vorläufiger Bericht, der feststellte, dass Hamid mit einem wuchtigen Schlag ins Gesicht außer Gefecht gesetzt und dann mit roter Schnur, wie sie in der Landwirtschaft zum Binden von Strohballen benutzt wurde, gefesselt worden war. Die Spuren an den Handgelenken deuteten darauf hin, dass er sich gewehrt und zu befreien versucht hatte. Dann war ihm ein langes, scharfes Messer tief in den Unterleib gestoßen und durch den Bauch gerissen worden, »wie bei einem japanischen Selbstmordritual«, hieß es in dem Bericht. Darin hieß es ferner, dass das Opfer vermutlich geschrien habe, weil es anscheinend nicht geknebelt worden war. An den Augen und im schütteren Haar waren Spuren von Rotwein sichergestellt worden, was darauf schließen ließ, dass ihm der Täter ein volles Glas ins Gesicht geschüttet hatte. Der Todeszeitpunkt wurde auf zwischen zwölf und zwei Uhr am Nachmittag festgelegt, wahrscheinlich gegen eins. Alles deutete darauf hin, dass ihm das Hakenkreuz in die Brust geritzt wurde, als er schon tot war, wenigstens das.
Hinweise auf einen Raub gab es nicht. In Hamids Gesäßtasche steckte ein Portemonnaie mit insgesamt vierzig Euro, seinem Personalausweis, dem Foto aus einer Zeitung, das ihn während einer Parade durch den
Arc de Triomphe
in Paris zeigte, und einem weiteren Foto von Karim nach einem erfolgreichen Angriffszug bei einem Rugbymatch. Außerdem befanden sich darin ein paar alte Franc-Noten und Briefmarken, mehr nicht. In einer Schublade lagen ein Scheckheft der
Crédit Agricole,
Kontoauszüge sowie mehrere, noch ungeöffnete Briefe der Bank mit Belegen über seine Pensionszahlungen vom Militär. Der alte Mann hatte gut 20.000 Euro auf der Bank, worüber sich Bruno wunderte. Aus den Unterlagen des Bürgermeisteramtes wusste er, dass Momu und sein Vater vor zwei Jahren das kleine Häuschen für 78 000 Euro - bar bezahlt - erstanden hatten, was ein durchaus günstiger Preis gewesen war, verglichen mit den Summen, die die örtlichen Immobilienmakler inzwischen für jede heruntergekommene Bruchbude bei englischen oder holländischen Interessenten erzielten.
Der alte Mann hatte in seinem Häuschen keinerlei Komfort, noch nicht einmal einen Kühlschrank. Die Lebensmittelvorräte lagerten in einem kleinen Küchenschrank - Wein,
pâté,
Käse, Früchte und mehrere Tüten voller Nüsse. Da waren zwei Literflaschen
vin ordinaire
und eine sehr gute Flasche Château Cantemerle von 1998. Offenbar hatte sich der alte Mann zumindest manchmal einen erlesenen Tropfen gegönnt. Eine geöffnete Tüte mit billigem Pulverkaffee befand sich auf dem Regal über dem kleinen Herd, der wie der Wasserboiler mit Gas befeuert wurde. Gas war auf dem Land der am meisten verwendete Brennstoff; auch Bruno kochte und heizte damit. Und was war sonst noch da? Keine Flinte, keine Jagdlizenz, wohl aber ein gültiger Angelschein und eine teure Rute. Kein Fernseher, nur ein einfaches batteriebetriebenes Transistorradio, eingestellt auf den Nachrichtensender
France
Inter.
Keine Zeitungen, keine Illustrierten, aber ein Regal voller Kriegs- und Geschichtsbücher über de Gaulle, den Algerienkrieg, den Krieg in Vietnam, den Zweiten Weltkrieg, über die Résistance sowie zwei Bücher über die oas, die französische Untergrundbewegung in Algerien, die ein Attentat auf de Gaulle versucht hatte, weil dieser die Kolonie in die Unabhängigkeit entlassen wollte. Bruno fand es interessant, dass Hamid solche Bücher gelesen hatte, sah aber keine Verbindung zu einem Hakenkreuz. Abgesehen von dem Geld, der verschwundenen Medaille und dem verschwundenen Bild deutete alles auf
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