Bullet Catcher - St. Claire, R: Bullet Catcher
einen Titel nach dem anderen zu erwerben, nur unterbrochen von gelegentlichen Reisen wegen Forschungsaufenthalten, bis ich in Berkeley eine Stelle angeboten bekam. Letztes Jahr stieg ich dann zur Juniorprofessorin auf, nachdem ich meine Dissertation – sehr zum Missfallen meiner Kollegen – in einem renommierten Verlag unterbringen konnte. Ende der Geschichte.«
»Ich weiß nicht viel über das Uni-System hier in den Staaten, aber ich schätze, als Professor einer Universität wie Berkeley ist man schon eine ziemlich große Nummer.«
»›Eine ziemlich große Nummer‹ ist was anderes.« Sie imitierte gekonnt seine Aussprache. »Juniorprofessor ist so was wie das Erdgeschoss des Elfenbeinturms, und der Weg nach oben ist steil und von missgünstigen Konkurrenten gesäumt. Die wenigsten sind bereit, eine einunddreißigjährige Nachwuchswissenschaftlerin durchzulassen, die, statt sich jahrzehntelang in der Lehre abzumühen, in der Veröffentlichungs-Lotterie Glück hatte.«
Er nickte, obwohl er im Stillen längst schon wieder bei seinem ursprünglichen Thema war: wo sie geboren war und wer ihre leibliche Mutter war – oder auch nicht. »Hat dir deine Mummie denn mal erzählt, wie das war, als sie dich im Flugzeug zur Welt brachte? Ich schätze, die Geschichte ist wie die meisten Geburtsgeschichten ziemlich aufregend.«
»Meine ›Mummie‹« – sie grinste über die Wortwahl – »hat mir nie etwas erzählt. Sie meinte, das Erlebnis habe sie traumatisiert. Allerdings gibt es ziemlich viele Dinge, die meine Mutter traumatisieren – zum Beispiel auch, dass ihr Baby nach Kalifornien gegangen ist. Sie ist immer noch nicht sicher, ob ich schon allein über die Straße gehen kann, geschweige denn allein in einem anderen Bundesstaat leben.«
»Sie ist ein bisschen überängstlich, was?« Passte das nicht zu einer Mutter, die um jeden Preis verhindern wollte, dass ihrer illegal adoptierten Tochter etwas zustieß?
»Wenn man ›überängstlich‹ in einem Lexikon nachschlägt, findet man wahrscheinlich ein Bild meiner Mutter.«
»Wovor will sie dich denn beschützen?«
Sie lächelte gelassen, griff über den Tisch und schob den Ärmel seines T-Shirts hoch, sodass sich die gezackte Axtschneide auf seinem Bizeps offenbarte. Hitze schoss ihm in den Bauch – und eine Etage tiefer.
»Vor Männern wie dir.« Sie ließ den Ärmel los.
Er grinste und nickte begeistert. »Eine weise Frau, deine Mummie.«
Während sich ihre Blicke ineinander verhakten, begann es zwischen ihnen zu prickeln. Es wäre ein Leichtes, sie jetzt zu fragen. Wie sieht’s bei dir aus, Miranda? Hast du auch ein Tattoo?
Doch mit allzu direkten Fragen würde er sie vor den Kopf stoßen, zumal sie wirklich keine Ahnung zu haben schien, dass sie adoptiert war. Seine Pläne, das Tattoo zu suchen, wären dann dahin. Stattdessen rückte er näher und ließ einen Finger über ihre Handknöchel wandern. Ihre Augen verdunkelten sich.
»Und Daddy?« Er bot ihr das letzte Stück Unagi-Aal an, und sie griff zu. »Beschützt er dich auch vor der falschen Sorte Männer?«
Sie lächelte strahlend, aufrichtig und einfach wundervoll. »Mein Dad ist eine Wucht. Er ist großartig. Ich sage immer, es gibt schon einen guten Grund, warum Gott uns zwei Eltern gibt.«
Oder vier, wie vielleicht in diesem Fall.
Wenn er hier die richtige Frau vor sich hatte, würde er etwas für immer zerstören müssen – die Erinnerung an eine Bilderbuchkindheit in Marietta, Georgia. Aber er hatte einen Job zu erledigen, und ein Freund brauchte seine Hilfe.
Nach den Funken zu urteilen, die zwischen ihnen stoben, würde eine Ganzkörperuntersuchung nicht schaden, ihnen beiden nicht. Wenn er das Tattoo nicht fand, würde er ihr nichts über ihre wahre Herkunft verraten, und sie könnte ihr Leben fortsetzen wie bisher, um eine köstliche Erinnerung reicher.
»Miranda«, sagte er leise und nahm ihre Hände. »Lass uns gehen.«
Er spürte ihren Puls schneller schlagen. »Vorbei mit Sushi und Small Talk?«
»Du reist morgen früh ab. Willst du wirklich noch länger einen Tisch zwischen uns?«
Ihre Brust hob und senkte sich in unregelmäßigen Atemzügen. »Wohin gehen wir?«
»Wenn du so fragst, gehen wir vielleicht lieber gar nicht.«
Sie feuchtete ihre Lippen an und sah ihm direkt in die Augen. »Ich habe noch nie mit einem Fremden geschlafen.«
Er stand auf, legte ein paar Scheine auf den Tisch, schnappte sich das Buch und trat dann hinter sie, um ihr beim Aufstehen zu helfen.
Weitere Kostenlose Bücher