Bullet Catcher - St. Claire, R: Bullet Catcher
wenig geschlafen hatte? »Es war eine lange Fahrt«, sagte sie. »Und eine kurze Nacht.«
Taliña runzelte die Stirn und rieb Miranda mit der Hand über den Rücken. »Da ist noch etwas anderes.« Ihre Finger hielten inne, zwischen den Schulterblättern, genau dort, wo Adrien sie vor einer Stunde berührt hatte. Es kribbelte wieder, und Miranda schnappte überrascht nach Luft.
Adrien, der sich gegen eine in Stein gehauene Abbildung eines Kriegerschildes gelehnt hatte, richtete sich auf und sah die beiden Frauen aufmerksam an. Taliña führte Miranda ein Stück weg von ihm.
»Setzen Sie sich.« Sie manövrierte Miranda sanft auf einen im Schatten stehenden Sessel und zog dann einen für sich selbst heran. Mit ihren schwer mit Silber, Jade und ein paar Brillanten beringten Fingern umfasste sie Mirandas schmucklose Hände. Eine lange, unbehagliche Minute lang fixierte sie Mirandas Augen, und der Druck ihrer Finger nahm in gleichem Maße zu wie die Intensität des nachtschwarzen Blicks.
»Was haben Sie letzte Nacht geträumt?«, fragte Taliña.
»Das weiß ich nicht mehr.« Hatte sie letzte Nacht überhaupt geschlafen? Sie hatte sich seufzend hin und her gewälzt und an den Mann auf ihrem Futon und seine Küsse gedacht.
»Da war Blut«, sagte Taliña.
Miranda ließ überrascht den Kiefer sinken, hatte sich aber sofort wieder im Griff. Taliña ließ ihre Hände los und legte ihre Fingerspitzen auf Mirandas Schläfen. »Hier sind Sorgen.« Sie tippte leicht auf Mirandas Herz. »Und Angst hier. Ich kann Ihnen helfen.« Taliña stand auf und verschwand durch einen Türbogen, hinter dem sich, wie Miranda vermutete, der Wohnbereich befand.
»Vielleicht kann sie wirklich helfen«, sagte sie, ohne Adrien in die Augen zu sehen. »Vielleicht kann sie auf irgendeine Weise erkennen, von wem die Botschaft gestern Abend stammte.«
»Vielleicht.« Adriens zweifelnder Tonfall verriet ihr sofort, dass er nicht daran glaubte.
Begleitet vom Rascheln ihres Leinengewandes, kehrte Taliña durch eine zweite Tür zurück. Sie setzte sich neben Miranda und hielt einen runden Handspiegel hoch, dessen Rand in Silberfiligran gefasst und mit großen gelben Topassteinen verziert war.
»Mein Toli «, erläuterte sie. »Mit seiner Hilfe kann ich mehr erkennen.« Sie drehte den Spiegel so, dass sie sich beide darin sehen konnten. Miranda betrachtete ihr Spiegelbild und sah dunkle Ringe unter leicht verschwollenen Augen. Der Hauch Wimperntusche, den sie im Morgengrauen aufgetragen hatte, war längst dahin. Man musste kein Schamane sein, um zu erkennen, dass sie überanstrengt war.
Taliña musterte ihre Züge und runzelte die Stirn. »Jemand will Ihnen wehtun, meine Liebe. Jemand wird Ihnen sehr, sehr wehtun.«
Trotz der Hitze stellten sich auf Mirandas Haut alle Härchen auf.
Taliña studierte das Spiegelbild eingehend. Einen Augenblick lang flackerten und verdrehten sich ihre Augen, dann schlang sie ihre Arme um Miranda und zog sie aus dem Sessel. »Jemand hat die Absicht, Ihnen große Schmerzen zuzufügen.« Langsam, den Blick immer noch auf den Toli gerichtet und wie benommen, stand Taliña auf und nahm Miranda bei der Hand. »Kommen Sie«, drängte sie und warf Adrien einen warnenden Blick über die Schulter zu. »Sie bleiben hier.«
Seine goldenen Augen verengten sich, doch er rührte sich nicht vom Fleck.
Weiter hinten im kühlen Schatten des Portikus legte Taliña ihren Mund so nah an Mirandas Ohr, dass deren Haar aufstob, als sie sprach. »Wer ist der Mann?« Sie nickte mit dem Kopf leicht in Adriens Richtung. »Wie gut kennen Sie ihn?«
»Ich … wir … ich habe ihn gerade erst kennengelernt.«
Taliñas schwarze Augen weiteten sich. Kopfschüttelnd blickte sie auf ihren Spiegel. »Nehmen Sie sich in acht, meine Liebe.«
Die Warnung jagte ihr einen Schauer über den Rücken. »Vor wem?«
»Vor denen, die Ihnen Schutz versprechen, in Wahrheit aber ganz andere Pläne haben.« Sie blickte zu Adrien, senkte den Spiegel und trat einen Schritt zurück. »Josefina wird Sie zu Ihren Zimmern begleiten. Wir sehen uns dann um sieben beim Cocktailempfang im Hof. Ich erwarte etwas über hundert Gäste, Sie werden sicher verstehen, dass ich Sie jetzt allein lasse.« Sie machte eine Geste in Richtung des Tisches. »Bitte, fühlen Sie sich wie zu Hause.«
Sie verschwand wiederum in einem anderen Bogen und ließ Miranda zutiefst beunruhigt zurück.
Hatte die Schamanin in Adrien Fletcher etwas entdeckt, das ihr selbst entgangen war?
Miranda
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