Bußestunde
ihm schon bekannte Szenerie schweifen.
Schließlich fuhr er auf einen Waldweg und stellte den Wagen außer Sichtweite des Weilers ab. Dann näherte er sich schräg von hinten den beiden Ödhöfen von Jansson, dem niedergebrannten und dem noch intakten. An einer Stelle waren blau-weiße Polizeibänder aus Plastik quer über den Pfad gespannt. Er stieg mit einem großen Schritt darüber hinweg und nahm gleichzeitig die Pistole aus dem Achselholster.
Er hielt inne. Dann duckte er sich unter eine große Tanne, deren Äste eine Art Unterschlupf bildeten. Er blieb eine Weile in der Hocke sitzen. Holte einige Male tief Luft und fühlte, dass ihm übel war. Nicht ernsthaft, aber ein wenig. Es war ein tieferes Übelsein als das gewöhnliche, physische. Es rührte an den Kern seiner Existenz in dieser Welt.
Er saß dort in der Tannenhütte und spürte, wie die Minuten verrannen. Ihm war, als ob alles, womit er sich in den letzten zehn Jahren befasst hatte, sich in ihm versammelte und aufbegehrte. Als ob all das Böse, das er gesehen und bekämpft hatte und von dem er ein Teil gewesen war, auf ihn einstürzen und in seinem Rückenmark Wurzeln schlagen und sich zu einem Schimmelpilz in den innersten Winkeln seiner Seele auswachsen würde.
Ich habe mein Bestes gegeben, dachte er und entsicherte die Pistole so lautlos wie möglich.
Habe ich nicht mein Bestes gegeben?
Er trat unter der Tanne hervor und ging weiter den Pfad entlang. Kurz danach sah er den intakten Ödhof, der sich über eine kleine Anhöhe erhob. Mit schussbereiter Pistole ging er zu ihm und um ihn herum.
Es war kein Mensch in der Nähe.
Wieder hielt er inne und presste den Rücken an die Hauswand. Daneben lag der verbrannte Hof. Er war von blau-weißen Plastikbändern umzäunt, die verkündeten, dass eine ordnungsgemäße Tatortuntersuchung stattgefunden hatte.
Die Überreste von Tore Michaelis waren fortgeschafft worden.
Kein Totenschädel grinste Paul Hjelm entgegen.
Er schlich seitwärts weiter, mit dem Rücken an der Wand des Ödhofs entlang. Und dann bog er um die nächste Ecke.
Auch auf der kargen Wiese, die sich vielleicht acht Meter zum Waldrand hin erstreckte, war niemand. Nirgendwo ein Lebenszeichen.
Aber dann hörte er etwas. Vielleicht war es kein realer Laut. Doch er hörte ihn. Es war wie das Knacken eines Astes.
Aus dem Waldrand trat ein dunkelhäutiger Mann. Paul Hjelm erkannte äußerst vage Fawzi Ulaywi, auch bekannt unter dem Namen Rawan Fahaidawi, den er vor acht Jahren kurz, aber intensiv verhört hatte. Sein Gesicht war vollkommen ausdruckslos. Aber er hob eine Hand zum Gruß. Paul Hjelm richtete die Pistole auf ihn. Erst als er wirklich auf ihn zielte, merkte er, wie seine Hand zitterte.
Etwas war in Rawan Fahaidawis Blick, das nichts Gutes verhieß.
Und da brach alles über Paul Hjelm herein.
Tore Michaelis war ganz sicher hier gestorben, unmittelbar neben ihm. Das Fleisch an seinen Knochen war verbrannt, und sein Schädel war zerschmettert worden.
Und Paul Hjelm war gründlich, gründlich genarrt worden.
Vor seinen Augen trat ein Gesicht hervor. Ganz von selbst. Ein von dunklem Haar umrahmtes Gesicht.
Es war Kerstin Holms Gesicht.
Er dachte: Habe ich meiner Tochter wirklich gesagt, dass ich sie liebe?
Rawan Fahaidawi trat einen Schritt zur Seite. Hinter ihm stand ein anderer Mann. Er trug einen großen Zylinder auf dem Rücken und hielt etwas in den Händen, das einem Rohr glich.
Aus dem Rohr züngelte eine kleine Flamme.
Zum ersten Mal sah Paul Hjelm einen Flammenwerfer.
Dann war die Welt ein brennendes Inferno.
30
Kerstin Holm: Ich weiß, dass es anstrengend ist, man kehrt ja nicht besonders oft in Gedanken zu seiner Gymnasialzeit zurück.
Sofia Olsson-Larsson: Im Gegenteil, das tun doch alle hier. Als wäre es der Höhepunkt des Lebens. Und für viele war es das wohl auch.
Kerstin Holm: Glauben Sie?
Sofia Olsson-Larsson: Auf jeden Fall für die da. Hanna und die Clique. Ich habe das Gefühl, dass in ihrem Leben danach nicht mehr viel passiert ist. Damals war der Höhepunkt und zugleich auch der Schlusspunkt.
Kerstin Holm: Aber Sie sind doch auch in Väsby geblieben?
Sofia Olsson-Larsson: Absolut. Und ich werde nie aus Väsby weggehen. Hier bin ich zu Hause, für immer. Es ist ein cooler, entspannter Arbeitervorort. Aber ich hatte das Glück, mein Ding zu finden. Das hier.
Kerstin Holm: Es ist schön hier. Darf man es als ein Künstlerkollektiv bezeichnen?
Sofia Olsson-Larsson: Sie sollten nicht wagen, es
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