Bußestunde
werden, und haben sich vollkommen anonym gemacht. Sie tragen Gesichtsmasken und Handschuhe und sprechen kein Wort, benutzen dasselbe Auto, wechseln aber ständig die Nummernschilder. Sie sind schnell und effektiv und hinterlassen unauslöschliche Narben. Insgesamt haben sie schon über vierzig Mal zugeschlagen, sie haben sich ordentlich mit Bargeld eingedeckt und lassen keine Tendenz erkennen, ihre Tätigkeit einzustellen. Sie verbreiten Angst und Schrecken in der Stadt, und wir haben über eine Stunde Film von ihnen. Ohne mehr Anhaltspunkte zu haben als zuvor.«
»Jorge und ich studieren die Überwachungsfilme unaufhörlich«, sagte Jon Anderson, »und wir gehen davon aus, dass ihre Mauer irgendwo einen kleinen Riss hat. Bisher haben wir keinen gefunden, aber es muss einen geben, davon bin ich überzeugt.«
»Ich bin weniger überzeugt«, erklärte Jorge Chavez. »Aber wir ziehen es vor, unsere Differenzen als qualitätsfördernde Spannungen zu betrachten.«
»Ein geliebtes Kind hat viele Namen«, sagte Kerstin Holm neutral.
Ein kurzes Schweigen entstand. Am Ende begriffen alle, was sie gemeint hatte, und nickten. Ein Raum mit nickenden Puppen.
Holm kam wieder zur Sache: »Aber die Konten werden doch nicht geleert? Es gibt doch Höchstbeträge bei Geldautomaten.«
»Da gibt es große Unterschiede«, entgegnete Jon Anderson. »Es kommt auf die Art der Karte und die Bank an. Im Schnitt machen sie pro Überfall sechstausend Kronen. Das Irritierende bei diesen Verbrechen ist gerade der Umstand, dass sie so wenig erbeuten. Es ist ein viel zu großes Leiden per Krone, um es mal so zu sagen.«
»Okay«, sagte Kerstin Holm. »Macht auf jeden Fall weiter.«
»Danke«, sagte Jorge Chavez lakonisch.
Kerstin Holm schenkte ihm ein süßes Lächeln und wandte sich den beiden Frauen zu: »Sara und Lena haben ja eine Zeit lang etwas kürzergetreten. Deshalb passt es gut, dass ihr euch mit dem Raubüberfall beschäftigt, dessen Zeugin du gestern Nachmittag auf Östermalm geworden bist, Lena.«
»Zeugin?«, platzte Sara Svenhagen heraus und starrte ihre Kollegin an.
»Na ja, was heißt Zeugin«, sagte Lena Lindberg. »Ich traf ein paar Minuten nach der Tat ein, zusammen mit einem unerwartet fixen Streifenwagen. Es war an sich nichts Außergewöhnliches – ganz normaler Raub, wahrscheinlich war der Täter ein Junkie aus dem Humlegården –, aber der Ladeninhaber hatte anscheinend eigene Vorstellungen davon, wie man sich Gerechtigkeit verschafft. Er und zwei weitere der drei Zeugen sollten inzwischen hier im Präsidium sein. Die dritte Zeugin ist unser wirkliches Opfer – und das macht diesen Fall ein wenig spezieller als einen gewöhnlichen Raubüberfall. Es sieht nämlich so aus, als hätte der Täter sie irgendwie gekannt und sie aus einem besonderen Grund niedergeschlagen.«
»Er hat sie niedergeschlagen?«, fragte Kerstin Holm.
»Und das nicht eben zimperlich«, sagte Lena Lindberg. »Sie liegt immer noch bewusstlos im Karolinska. Offenbar handelt es sich um eine ganz gewöhnliche Zwanzigjährige aus Östermalm, mit gediegenem Elternhaus und einem geregelten Leben. Als sie bewusstlos geschlagen wurde, hielt sie den Film Smala Sussie in der Hand, wenn das jemandem etwas sagt.«
» Pulp Fiction auf Schwedisch?«, fragte Arto Söderstedt.
»So in etwa«, sagte Lena Lindberg. »Und Lock, Stock and Two Smoking Barrels . Ziemlich heftige und aufgeputschte Gewaltaction aus Värmland.«
»Und was hat das mit dem Fall zu tun?«, fragte Kerstin Holm irritiert.
»Nichts«, entgegnete Lena Lindberg wahrheitsgemäß. »Aber der Inhaber des Ladens hat uns seine Videodatei ausgehändigt.«
»Videodatei?«
»Idiodatei«, sagte Arto Söderstedt und wurde gnadenlos ignoriert.
»Man sagt nicht mehr Film«, sagte Lindberg. »Man sagt Datei. Und die wollte der Ladeninhaber unter Verschluss halten. Tat so, als ob die Überwachungskamera nicht funktionierte. Filmte heimlich, könnte man sagen.«
»Oder dateite heimlich«, sagte Söderstedt und wurde noch gnadenloser ignoriert.
»Filmte heimlich, um das Gesetz selbst in die Hand zu nehmen«, sagte Lindberg. »Ein paar Verwandte auf die Sache anzusetzen. Man kann allerdings sagen, dass die Chancen der Verwandten, den Räuber zu identifizieren, minimal gewesen wären. Ich habe mir den Film kurz angesehen und festgestellt, dass der Räuber sehr gut maskiert ist. Was er in der Hand hält, ist keine Pistole, er schlägt der jungen Frau eher mit einer Art Rohr ins Gesicht, das er so
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