Bußestunde
Abständen »yes« zu sagen. Schließlich legte er den Hörer auf. »Ja, es ist Stockholm, verdammich. Wir befinden uns auf einer Stufe, die sie ›red alert‹ nennen. Das haben sie garantiert aus einem Hollywoodfilm.«
»Wir?«
»Du und ich«, nickte Söderstedt. »Europols Hoffnung ruht jetzt ganz auf deiner und meiner Fähigkeit, in einem Wahnsinnstempo zur richtigen Adresse zu rasen. Wenn Dr. Mrs Nora Higgins seine nächste Mail aktiviert. Die technische Einheit im Hauptquartier in Den Haag richtet jetzt ihre gesamte Suchkapazität hierauf aus. Danach sind sie gezwungen – widerwillig, wie mir nicht entgangen ist –, ihre ganze Hoffnung auf die zweifelhaften schwedischen Kriminalinspektoren Sadestatt und Neeburg in der nördlichen Provinzstadt Stockholm zu setzen.«
Gunnar Nyberg nickte. Dann ging er langsam zurück auf seine Seite des Schreibtischs, griff seinen extrastabilen Schreibtischstuhl, hob ihn über den Schreibtisch und setzte sich neben seinen hellhäutigen Kollegen.
»Ja, dann warten wir«, sagte er.
7
Paul Hjelm war nicht froh darüber, aber er befand sich wieder im Zimmer des Säpo-Chefs. Was der Säpo-Chef davon hielt, war weniger klar, denn er war gerade vollauf damit beschäftigt, sich die Fußnägel zu schneiden. Es war ein unappetitlicher Anblick. Der imposante Mann saß schräg nach vorn gebeugt und zog den rechten Fuß in einer verzerrten Schneidersitzposition heran, riss sich mit einem unangenehm knisternden Geräusch den Strumpf vom Fuß und ging mit großer Präzision zu Werke. Zehennägelsplitter flogen umher. Im Licht der Schreibtischlampe sah es aus, als sei er vom flüchtigen Schein von Glühwürmchen umgeben.
»Du hast mir beim letzten Mal gesagt, Tore Michaelis hätte euch immer Bericht erstattet, wenn er irgendwohin sollte«, sagte Hjelm und versuchte zu ignorieren, dass ihn gerade ein Stück vom Nagel des großen Zehs an der Nase getroffen hatte.
»Das ist korrekt«, antwortete der Säpo-Chef vorsichtig.
»Wie tat er das?«
»Immer mündlich. Er tauchte lediglich hier im Büro auf und berichtete mir, was getan werden sollte.«
»Was war es, das in der Regel getan werden sollte?«
»Observation, Informationsbeschaffung oder Informationsaustausch. Andere Sicherheitspolizeibehörden zu schulen oder von ihnen zu lernen.«
»Und der allerletzte Auslandsauftrag war also Bagdad? Worum ging es da?«
»Er war nach der Invasion der USA im März 2003 mehrfach in Bagdad. Tore Michaelis gehörte zu einem internationalen Expertenteam, das die irakische Polizei beim Aufbau einer Sicherheitspolizei nach demokratischen Gesichtspunkten unterstützen sollte.«
»Ist das nicht ein Widerspruch in sich?«
»Viele würden genau das Gegenteil sagen.«
»Was hielten die Amerikaner davon?«
Der Säpo-Chef blickte irritiert zu Paul Hjelm auf, wobei er die Nagelschere in einer besorgniserregenden Weise an seinen kleinen Zeh hielt. »Aber das ging selbstverständlich auf ihre Initiative zurück«, sagte er gekränkt.
Hjelm dachte zum mindestens zehnten Mal in den letzten Stunden daran, dass er die Weltkarte in seinem Kopf neu zeichnen musste. Jene gefälschte Weltkarte, mit der er und der Rest der naiven Welt aufgewachsen waren.
»Und wie lief es?«, fragte er.
»Ich habe keine Klagen gehört«, entgegnete der Säpo-Chef, kappte mit einem Präzisionsschnitt den Nagel des kleinen Zehs und wechselte den Fuß. Der linke Strumpf knisterte noch unangenehmer als der rechte, als er ihn sich vom Fuß zog.
»Kannst du mir nicht mehr Details nennen? Sein Privatleben zum Beispiel? Gibt es jemanden, dem er sich mehr anvertraut als anderen?«
»Ich bin mir nicht sicher, ob Tore Michaelis ein Privatleben hatte«, sagte der Säpo-Chef nachdenklich.
»Jetzt redest du wieder im Imperfekt.«
»Ja, sicher tu ich das …«
»Und wer ist Rudfeldt?«
Der Säpo-Chef ließ aufs Neue sein lang gezogenes Schnauben hören und sagte: »Vielleicht nicht ganz der richtige Mann, um Tores Verschwinden zu untersuchen, nein …«
»Gehört er hier zum Haus?«
Der Säpo-Chef hielt in der Pediküre inne, hob die Nagelschere und zeigte damit auf Hjelm, indem er in die Luft hackte. »Ich hatte von dir eigentlich erwartet, dass du dir seine internationalen Kontakte vornimmst und nicht Schwedens inkompetentesten Sicherheitspolizeibeamten. Aber der hat noch Konkurrenten, das kann ich dir sagen.«
»Warum hast du dann diesen Rudfeldt an eine dermaßen heikle Aufgabe gesetzt?«
»Weil ich einsah, dass eine interne
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