Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bußestunde

Bußestunde

Titel: Bußestunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
Vom Netzwerk:
einmal nicht besonders viel. Er wusste, dass Tore Michaelis keinen Bruder hatte. Er war der einzige Sohn des deutschen Einwanderers Heinz Michaelis und seiner Frau Anna-Lisa in Tierp. Anderseits war bei genauerer Betrachtung »Bruder Michael« auch in John le Carrés Buch kein Bruder im eigentlichen Sinn. »Bruder« bedeutete Mönch, Missionar. Bruder im Glauben. Aber Tore Michaelis hatte wohl kaum einen Beichtbruder in der Christenheit, das zu glauben fiel Hjelm äußerst schwer. Nein, er kehrte zur buchstäblichen Bedeutung zurück und zog die Stirn in tiefe Falten.
    Etwas setzte sich in Bewegung. Er trat ans Regal mit den alten Polizeilehrbüchern und schlug das einzige Buch auf, das eine Eintragung hatte, die verwischten Initialen und die Jahreszahl »-70«. Er betrachtete die Eindrücke, die die Buchstaben auf den Seiten hinterlassen hatten. Und da stand ohne Zweifel »T«, aber der zweite Buchstabe war kein »M«, sondern ein »H«.
    Paul Hjelm zog sein Handy aus der Tasche und wählte eine Nummer. Die Polizeihochschule meldete sich.
    »Ich möchte gern Studiendirektorin Gertrud Larsson sprechen.«
    Es verging ein Moment, bis sich eine Frauenstimme meldete: »Ja. Gertrud Larsson.«
    »Hej, hier ist Paul Hjelm.«
    »Oh, hej.«
    »Wie weit reichen eure Studentenarchive zurück?«
    »Äh, ja, ziemlich weit.«
    »Auch in die Zeit, bevor ihr Hochschule wurdet?«
    »Ja, das ist inzwischen alles elektronisch erfasst.«
    »Glänzend. Ich interessiere mich für einen Jahrgang, der wahrscheinlich 1968 anfing und 1971 Examen machte.«
    »Ich rufe es eben auf«, sagte Gertrud Larsson, und das Rattern ihrer Tastatur war höchst beeindruckend.
    »Habt ihr da einen Tore Michaelis?«
    »Michaelis … Nicht, soweit ich sehen kann, nicht bei der Aufnahme 1968.«
    »Nein?«
    »Wir hatten einen anderen Tore. Tore Hagström.«
    »Ah«, sagte Paul Hjelm.
    »Aber er scheint nicht 1971 Examen gemacht zu haben«, erklärte Gertrud Larsson. »Er scheint überhaupt kein Examen gemacht zu haben. Aber komisch …«
    »Was denn?«
    »Hier taucht auf einmal dein Tore Michaelis auf.«
    »Es ist dieselbe Person«, sagte Paul Hjelm. »Ich danke dir sehr. Er muss im letzten Jahr an der Schule den Namen gewechselt haben.«
    »Bitte sehr«, erwiderte Gertrud Larsson und wartete auf eine Erklärung. Aber Paul Hjelm hatte schon aufgelegt.
    Er kratzte sich am Kopf und rief die Kommune Tierp an. Er stellte sich vor und fragte, ob es irgendwo in einem kommunalen Altenheim einen Greis mit Namen Heinz Michaelis gebe, worauf er sich darüber aufklären lassen musste, dass das Wort »Altenheim« nicht mehr benutzt werde, weil es politisch inkorrekt sei. Als Hjelm darauf hinwies, dass das nicht ganz die Information sei, deretwegen er anrufe, wurde die Stimme am anderen Ende bedeutend spitzer und erklärte kühl, dass ein Mann dieses Namens innerhalb der Grenzen der Kommune nicht existiere.
    »Heinz Hagström vielleicht?«, fragte Paul Hjelm.
    »Nein«, sagte die Kreissägenstimme.
    »Welche Hagströms haben Sie denn in den letzten Jahrzehnten in der Kommune gehabt?«
    »Wir können nur bis in die Achtzigerjahre zurückgehen«, sagte die Stimme schrill.
    »Gerne«, sagte Paul Hjelm.
    »Egil Hagström starb 1996. Dann hatten wir die Eheleute Hans und Anna-Lisa Hagström …«
    »Hans?«, wiederholte Hjelm. »Ich glaube, da haben wir sie.«
    »Unterbrechen Sie mich nicht«, sagte die Stimme. »Anna-Lisa Hagström starb 1989 an Krebs, Hans Hagström sitzt im Pflegeheim Täppan. Er ist zweiundneunzig Jahre alt.«
    »Vielen Dank«, sagte Paul Hjelm. »Und einen Tore Hagström oder Michael Hagström gibt es in Ihren Registern nicht?«
    »Nein«, schrillte die Schreckensstimme. »Dann hätte ich das gesagt.«
    Paul Hjelm beendete das Gespräch. Er blieb einen Augenblick sitzen und atmete aus. Es war alles sehr sonderbar.
    Der Bäcker Heinz Michaelis wurde während des Weltkriegs wegen seiner deutschen Herkunft schikaniert – obwohl er vor den Nazis geflohen war. Er heiratete Anna-Lisa und hatte mit ihr einen Sohn, Tore. Doch anscheinend gingen die Schikanen nach dem Krieg weiter. Es ging so weit, dass Heinz Michaelis am Ende den Namen Hans Hagström annahm. Das Paar bekam danach noch einen Sohn, Michael, der nie Michaelis hieß. Dafür sollte sein Vorname wohl die Erinnerung daran bewahren, dass die Familie einmal Michaelis geheißen hatte.
    Aus irgendeinem Grund stand in den Unterlagen der Säpo über ihren ältesten Mitarbeiter nichts von dem Namenswechsel –

Weitere Kostenlose Bücher