Bußestunde
die Schwimmzüge unten im Bassin, die mühsame Rückkehr der Sprache. Es hätte nicht mehr lange gedauert, und sie hätten im Krankenhausgarten des Karolinska sitzen und Pläne für die Zukunft schmieden können.
Aber da lag wohl der wunde Punkt. Wenn ihre Gedanken diesen Punkt erreichten, wurde das Bedürfnis, sein Grab zu besuchen, akut. Eine Kompensationshandlung.
Für die Tatsache, dass sie keine Zukunft mit Bengt hatte haben wollen.
So schrecklich das war.
Unmöglich, der Wahrheit nicht ins Auge zu sehen. Sie hatte Bengt Åkesson so lange aus ihrem Leben weggedacht, dass kein Platz mehr für ihn da war, als er plötzlich zurückkehrte. Sie empfand Zärtlichkeit für ihn, freute sich über seine Fortschritte, hatte kein Problem damit, Zeit mit ihm zu verbringen. Aber sie wollte nicht mit ihm leben. Sie hatten keine gemeinsame Zukunft.
Trotz allem war sie froh darüber, dass sie es nicht geschafft hatte, ihm das zu sagen, bevor er starb. Er starb im Schlaf, abrupt, und er war gestorben, ohne es zu wissen. Sie dagegen büßte immer noch. Jeden Tag.
Sie rüttelte Anders wach, und sie frühstückten zusammen, wie immer ein wenig in Eile. Anders hatte zum Glück Kerstins grantige Morgenlaune geerbt, daher wechselten sie nicht viele Worte. Nachmittags und abends waren es jedoch mehr. Er war so männlich wortkarg geworden. Sie konnten sich mit wenigen Worten viel sagen. Das war gut, es kam Kerstin entgegen.
So konnte man weiterleben. Es wäre möglich, ein ganzes Leben im gleichen Trott zu leben. Aber sie brauchte doch ein bisschen mehr. Das war ihre jüngste, immer unausweichlichere Einsicht.
Ein bisschen mehr brauchte sie.
Sie trennten sich mit einer wortlosen Umarmung an der Bushaltestelle in der Långholmsgatan, am südlichen Fuß von Västerbro. Sie sah ihn die Straße zur Högalids-Schule hinabschlendern. Er drehte sich nicht einmal um. Er wurde langsam groß. Jedenfalls war er selbst davon überzeugt.
Mit einem Kloß im Hals wartete sie auf den Bus Nummer 40. Als er kam, war er voll. Als Letzte quetschte sie sich hinein und genoss danach das vom Herbstlicht trübe Szenario der Västerbro, gegen eine Tür gepresst, auf der drei Warnschilder in verschiedenen Formulierungen mahnten: »Was Sie auch tun, lehnen Sie sich nicht an die Tür.«
Als sie in der Hantverkargatan aus dem Bus stieg, war sie ein wenig spät dran. Es war kein guter Tag, um zu spät zu kommen, denn sie hatte als Erstes eine Besprechung mit Waldemar Mörner, dem formellen Chef der A-Gruppe, der in letzter Zeit seine handfeste Dämlichkeit immerhin etwas vermindert hatte. Sie hoffte, dass die Besprechung rasch beendet sein würde. Danach galt es nämlich, sich um einen Serienmörder von einer Art zu kümmern, wie Stockholm sie bisher nicht erlebt hatte. Sie war alles andere als begeistert von den Zukunftsaussichten.
Als Kerstin Holm in Waldemar Mörners Zimmer trat, erwartete sie ein ganz ungewohnter Empfang. Es war nicht die Spur seiner üblichen hirntoten Jovialität zu erkennen, nicht die Andeutung seiner gedankenlosen sexistischen Kommentare, nicht der geringste Ansatz dissonanter verbaler Kanonaden.
Sie begrüßten sich in gemessener Form, und Waldemar Mörner sagte: »Die Sache mit diesem Serienmörder hört sich grässlich an.«
»Wir sollten vielleicht noch ein wenig abwarten, ehe wir Schlüsse ziehen.«
»Offiziell ja, aber inoffiziell doch kaum, oder?«
»Vielleicht nicht …«
»Ich habe dich herbestellt, weil wir eine neue Kürzungsauflage bekommen haben.«
»Jetzt schon wieder? Der Haushaltsetat steht doch fest?«
»Na ja, es hat gewisse Verschiebungen gegeben. Summa summarum sieht es für die A-Gruppe nicht rosig aus.«
»Doch nicht schon wieder«, seufzte sie.
»Ich weiß«, erklärte Mörner. »Keine Ahnung, wo der Plan diesmal ausgeheckt worden ist, aber ihr seid der Polizeiführung ein Dorn im Auge.«
»Ein lästiges Künstlerkollektiv neben Paragrafenreitern und Betonköpfen«, sagte Kerstin Holm unvorsichtigerweise.
Waldemar Mörner zog die Augenbrauen hoch: »So habe ich das noch nicht gesehen.«
»Dann tu es auch jetzt nicht.«
Nicht auszudenken, was Mörner an die Reichspolizeiführung weitergeben würde, wenn ein solcher Gedanke sich in seinem Metaphernwirrwarr einnisten sollte.
»Also, was ist konkret vorgesehen?«, fragte Kerstin Holm.
»Auflösung spätestens am Jahresende«, sagte Waldemar Mörner.
»Als Dank für zehn Jahre unübertroffener Polizeiarbeit …«
»Der Beschluss ist gefasst. Zum
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