Bußestunde
dachte an seine eigene bedeutungslose Anwesenheit in Michaelis’ Text. Einen kurzen Augenblick bedachte er auch die Formulierung »der andere, die Nummer zwei auf der Liste, die nur zwei Namen enthielt«.
»Es gab nie mehr als zwei Polizeibeamte, die als Nachfolger für mich infrage kamen, und plötzlich waren sie da, alle beide.«
Genug. Es war seine Pflicht, die Leiche von Tore Michaelis zu finden.
Er stand auf, drückte die CD aus seiner Ministereoanlage und machte sich auf den Weg. Unten am Eingang stieß er zu seiner großen Verwunderung auf »den anderen, die Nummer zwei auf der Liste«.
Arto Söderstedt zog ihn zur Seite und sagte ganz unvermittelt: »Die Erinnyen.«
Hjelm fiel es schwer, seinem weißblonden Kollegen ernsthaft zuzuhören, er war mit den Gedanken ganz woanders. »Was?«, sagte er.
»Sie sind wieder da«, erklärte Söderstedt.
»Du meinst wirklich Magda Kouzmins Anhang?«
Söderstedt nickte und sagte rasch: »Sie verfolgen eine Bande, die reiche Männer mit Prostituierten versorgt, die durch plastische Chirurgie zu Kopien ihrer Traumfrauen gemacht wurden und Mikrochips in sich tragen. Sie ziehen den Zuhältern die Gesichtshaut ab.«
Hjelm fühlte, wie ihm die Kinnlade herunterfiel, und bevor er etwas sagen konnte, war Söderstedt verschwunden. Auch er tief in seine eigene Welt versunken.
Es dauerte eine Weile, bis Paul Hjelm sich so weit gefasst hatte, dass er weitergehen konnte. Die Erinnyen, dachte er. Dann war er gezwungen, das Gehörte aus seinem Bewusstsein zu verdrängen. Es schien, als könnte sein Gehirn trotz allem nur eine begrenzte Menge an Information bewältigen.
Und sein Gehirn war gegenwärtig für Tore Michaelis reserviert.
Er setzte sich in seinen umweltfreundlichen Dienstwagen, schob die CD in den CD-Spieler und hörte Bachs h-Moll-Messe , während er zur Varvsgatan in Södermalm fuhr.
Und dann stand er von Neuem auf Tore Michaelis’ Balkon und atmete tief ein. Riddarfjärden lag spiegelglatt unter ihm. Als habe Stockholm vergessen, dass der Herbst im Anzug war.
Er kehrte in die Wohnung zurück und durchblätterte die wenigen handbeschriebenen Seiten des Wachstuchhefts. Dann fand er, was er suchte. Er stand in Tore Michaelis’ verwohnter Junggesellenbude und las laut: »›Ich verbrachte die Nacht damit, die Rosinen aus den Kuchen meiner mehr oder weniger vergessenen Lieblingsautoren zu picken. Ich las Benedetti, Cochinescu, Drigo, Reginève, Bordewijk, Sezaock, Dimitrova, Herfanda, Eschine, Gunesekera. Sie sprachen ein und dieselbe deutliche Sprache. Nicht zuletzt der dritte Satz bei Bordewijk, der mich mit solcher Trauer erfüllte. Sonderbar, dass ich sie so lange nicht gelesen hatte, einige von ihnen.‹«
Er drehte sich zu dem vollgestopften Bücherregal um, das jeden Quadratzentimeter der Wohnzimmerwände bedeckte, und begann zu suchen.
Er fand einen spanischen Roman mit dem Titel Gracias por el fuego von Mario Benedetti aus Uruguay und legte ihn auf den kleinen Couchtisch. Danach ging er alphabetisch vor. Er fand den Roman Bint des Holländers Ferdinand Bordewijk und legte ihn auf das Buch von Benedetti. Es folgte eine deutsche Übersetzung des Rumänen Ioan Mihai Cochinescu mit dem Titel Traktat der Kalligrafie . Auch die wanderte auf den Stapel. Anschließend lokalisierte er die bulgarische Autorin Blaga Dimitrova und fand ihren Roman Face , eine englische Übersetzung. Es folgten das italienische Fine d ’ anno von Paola Drigo und der Roman The Sandglass des sri-lankisch-englischen Autors Romesh Gunesekera. Und zum Schluss die indonesische Originalausgabe der Gedichtsammlung Sembahyang Rumputan von Ahmadun Yosi Herfanda.
Paul Hjelm betrachtete den Stapel und stellte fest, dass von den ebenfalls aufgeführten Autoren Reginève, Sezaock und Eschine keine Bücher vorhanden waren.
Natürlich konnte Tore Michaelis Bücher dieser Autoren ausgeliehen und zurückgebracht haben. Aber bekanntlich werden ja keine Register darüber geführt, was die Leute in Bibliotheken ausleihen, und damit saß Paul Hjelm auf dem Trockenen. Er betrachtete die drei Namen und wunderte sich, dass er keinen davon kannte.
Okay, er kannte auch Herfanda und Gunesekera nicht. Das musste nichts bedeuten. Michaelis hatte sie ja selbst als seine »vergessenen Lieblingsautoren« bezeichnet. Keiner von ihnen war international bekannt. Hjelm, der sich inzwischen für immerhin einigermaßen belesen hielt, glaubte, den Namen der Bulgarin Blaga Dimitrova zu kennen. Hatte sie nicht einmal
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