Butter bei die Fische: Ein Ostfriesen-Krimi (Piper Taschenbuch) (German Edition)
man allgemein von ihm halten würde, wenn das mit Bärbel rauskäme«, sagte Frau Sommer. »Er hatte ja nur ein einziges Interesse.«
Ein einziges Interesse – mochte sein! Aber es war trotzdem nachlässig gewesen, dass sie sich nie gefragt hatten, wer Steffis Vater war. Sie hatten Bärbel behandelt wie die Jungfrau Maria. Da spiegelte sich wohl das gesellschaftliche Denken wider: Väter existierten nicht, wenn sie mit der Mutter ihres Kindes nicht verheiratet waren und sich auch noch verdünnisiert hatten.
Schön, wahrscheinlich spielte Steffis Vater in diesem Fall tatsächlich keine Rolle, aber andererseits konnte man nicht wissen, was für ein Herz in seiner Brust schlug. Hatte er vielleicht weiche Gefühle bei sich entdeckt? Hatte er deshalb an Steffis Bett gestanden? Und sie zu sich holen wollen? Und Bärbel, der aufging, wer sich hinter dem buckligen Männlein versteckte – hatte sie ihm gedroht, dass sie der Polizei erzählen würde, wer ihre Tochter entführt hatte? Und dann hatte der Vater die Tiere an die Wand genagelt, um Bärbel unter Druck zu setzen … Na ja, alles noch ein bisschen kraus, aber man durfte den Vater keinesfalls ignorieren.
Elias zog, während er Richtung Innenstadt zum Busbahnhof wanderte, seinen Haftnotizblock heraus und notierte Vater. Und überlegte sich, dass Boris den Vater von Steffi womöglich erkannt hatte, unter der Kapuze des buckligen Männleins, vielleicht schon beim ersten Auftauchen, dass er ihn aber nicht hatte verraten wollen. Dann war aber sein Verhalten auf der PI , als er sich so sehr wünschte, die Polizei würde daraufkommen, wer an Steffis Bett gestanden hatte, bedenklich. Denn es bedeutete, dass er sich vor diesem Vater fürchtete. Und dann musste man wohl das Schlimmste annehmen.
Es war nicht einfach, sich im innerostfriesischen Busverkehr zurechtzufinden, und nachdem Elias eine aufreibende Stunde damit zugebracht hatte herauszufinden, wie man sonntagnachmittags von Emden nach Neermoor kam – nämlich überhaupt nicht –, nahm er sich ein Taxi.
Ausnahmsweise stromerte Boris bei diesem Besuch einmal nicht, sondern saß in Gittas Wohnung und löffelte Eis. »Wir haben abgemacht, dass er so viel essen darf, wie er kann«, sagte Gitta, und Boris wollte beweisen, dass er mehr konnte als jeder andere Mensch auf der Welt. Dreizehn Kugeln hatte er schon verputzt. Elias sah ihm von der vierzehnten bis zur zweiundzwanzigsten zu, weil ihn die Sache interessierte. Dann half er Boris im Klo beim Kotzen. Anschließend nahm er sich den Burschen vor, wobei es ihm ganz recht war, dass Gitta mittlerweile draußen den Garten wässerte.
Er fragte ihn erst mal nach seinem eigenen Vater.
»Der ist Seeräuber«, erklärte Boris. Elias erfuhr, dass der Seeräuber-Joe eine ganze Flotte anführte und dass eines der Boote eine Funktion besaß, mit der es sich unsichtbar machen konnte, für den Fall, dass es von somalischen Piraten angegriffen wurde, die mit ihnen in Konkurrenz standen und wirklich böse waren.
Elias nickte bedächtig. »Und hast du den Vater von Steffi in letzter Zeit gesehen?«
Boris schüttelte den Kopf. »Den kenn ich doch gar nicht.«
»Und wer ist das bucklige Männlein?«
»Weiß ich nicht.« Boris sah käsig aus, aber das konnte auch noch eine Folge seines rekordverdächtigen Eiskonsums sein.
»Und wo steckt deine Mama?«
Boris zuckte mit den Schultern.
»Bist du traurig, dass sie weg ist?«
Oh, da blitzte etwas auf in den glockenblumenblauen Kinderaugen. Scham, aber auch Erleichterung meinte Elias zu erkennen. Zum ersten Mal fiel ihm auf, wie gemütlich Gittas Küche wirkte. Am Fenster hing ein Dinosauriermobile aus buntem Karton, das todsicher von Boris gebastelt worden war. Auf der Arbeitsplatte standen zwei Kinderkuchenformen. Ein Trecker, aufgemotzt durch zwei martialisch aussehende Roboter, parkte neben dem Toaster.
Und wenn sie völlig falschlagen? Wenn Gitta zwar Himmel und Hölle in Bewegung setzte, weil ihre Schwester verschwunden war, aber in Wirklichkeit wunderbare, völlig entspannte, durch keine schrullige Schwester gestörte, also regelrecht paradiesische Jahre vor sich liegen sah, in denen sie einen netten kleinen Jungen großziehen konnte? Es war friedlich auf dem Hof geworden, seit Bärbel fort war. Sogar Elias meinte das zu fühlen. Oma Inse hörte mit ihrem Radio NDR , während sie auf der Terrasse den Sonnenuntergang genoss. Opa Bartel lauschte dem Sender durch das offene Fenster. Gitta stand im Blumenbeet und goss die
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