Butter bei die Fische: Ein Ostfriesen-Krimi (Piper Taschenbuch) (German Edition)
Fachhochschule.«
»O Gott! Und du hast ihr nie gesagt, dass du keinen Katzensprung weit weg wohnst?«
»Ich finde, sie muss nicht alles von mir wissen. Vieles belastet sie nur.«
»Mann«, sagte Olly, »du solltest dich was schämen, aber echt!«
Dieser Meinung war Elias’ Mutter auch. Sie verwuschelte ihm die Mähne und nannte ihn einen furchtbaren Kerl, weil er so lange gewartet hatte mit dem Besuch. »Monate sind das jetzt her! Damals hat es geschneit, weißt du noch? Nicht, dass ich klagen will.«
Mit Olly verstand sie sich erwartungsgemäß gut. »Wissen Sie, Elias hat nicht gerade die Laufbahn eingeschlagen, die sein Vater und ich uns von ihm erhofft hatten«, erläuterte sie ihr vertraulich, während sie ihr Kokosbutterkekse aus einer filigranen goldenen Schale anbot. »Da hat er sich schon unter sein Niveau begeben.«
»Ehrlich?«
»Junge, sag ich immer, sieh dich an. Uniform steht dir gar nicht. Finden Sie nicht auch, dass er vom Aussehen her eher etwas Künstlerisches hat? Womöglich etwas … Kafkaeskes?«
»O ja, und innen drin noch mehr. Also, was das Kafkaeske angeht«, sagte Olli. »Aber Uniformen trägt er überhaupt nicht.«
»Wenigstens das«, seufzte Elias’ Mutter. Sie drückte auf einen Klingelknopf, der wie ein bronzefarbener Lichtschalter in die Wand eingelassen war. »Ich bin offen gestanden gar nicht erfreut, dass er sich nach München hat versetzen lassen. Das liegt doch so nah an Italien, hab ich ihm gesagt. Und Italien … Mafia … Verstehen Sie?«
Olly nickte.
»Nach meiner Ansicht ist schon der ganze deutsche Süden von denen unterwandert. Ich hab da mal eine Reportage drüber gelesen. Die sind bis nach Duisburg vorgerückt. Ich sehe mich schon an deiner Bahre stehen, sag ich immer zu Elias, wo du liegst, niedergestreckt von einem Kugelhagel. Aber wann hat das junge Volk je Rücksicht auf die Gefühle einer alten Mutter genommen?«
Eine Frau klopfte und wollte wissen, wie sie behilflich sein könne. »Pfefferminztee«, bat Elias’ Mutter. Das war ja keine Überraschung. Der Pfefferminztee hatte sie schließlich durch ihr gesamtes Leben begleitetet. Ihren Gästen gestand sie allerdings einen Kaffee zu.
»Musiker, hab ich immer gesagt. Elias, in dir steckt ein begnadeter Musiker«, erklärte sie Olly, als die junge Frau mit der weißen Schürze das Zimmer wieder verlassen hatte. »Wussten Sie, dass er mit sechs bei ›Jugend musiziert‹ den zweiten Preis für Cello verliehen bekommen hat? Er sah so niedlich aus mit seinem Anzug und der lindgrünen Weste, der kleine Racker.« Sie besaß ein Foto von der Preisverleihung, und auch eines, das Elias mit Sabbermund und einigermaßen blödem Gesichtsausdruck im Sandkasten zeigte, und eines, wo er Pirat spielte, mit nichts als einem Säbel bekleidet.
Olly fand das alles sehr interessant, auch die drei Millionen Aufnahmen, die ihn mit dem Cello in Mutters Musikzimmer zeigten. »Warum hast du mir denn noch nie was vorgespielt, Elias?«, wollte sie wissen.
»Er ist zu schüchtern«, meinte seine Mutter. »Du musst dir was zutrauen, Elias, predige ich ihm, seit ich denken kann. Ich kenne mich aus, ich habe nämlich selbst als Sängerin gearbeitet. Man tritt auf die Bühne und steht vor dem Publikum … und dann muss man einatmen und an Größe gewinnen. Man muss die Bühne füllen. Das geschieht über das limbische System, gehirnmäßig, verstehen Sie?«
Für den Fall, dass Olly es nicht verstehen sollte, erhob sie sich, hechelte ein wenig, um ihre Muskulatur zu entkrampfen, füllte dann den üppigen Brustkorb mit Luft und schmetterte eine Tonleiter. Während Elias lauschte, kam ihm plötzlich die Erkenntnis, weshalb sich bei ihm keine Sympathie für King Kong einstellen wollte. Da gab es, rein stimmlich gesehen, nämlich eine frappante Ähnlichkeit mit seiner Mutter.
Das dreigestrichene d versetzte Elias’ Gehörzellen in einen Zustand gereizter Verkrampfung. Früher hatte Mutter mit diesem Ton einmal ein dünnes Porzellanschälchen zum Zerspringen gebracht, wovon sie immer gern erzählte, obwohl Elias glaubte, gesehen zu haben, dass sein Vater mit dem Ellbogen dagegengekommen war, aber da hatte er lieber den Mund gehalten.
Er sah, wie Olly horchte und fasziniert die Sessellehne umklammerte.
Wieder zu Atem gekommen, erklärte Elias’ Mutter: »Dieses Talent, die Menschen mit sich zu reißen, in ihnen unsterbliche Gefühle zu erwecken, muss man aber wohl in sich tragen. Mein Elias ist dafür zu introvertiert. Gerade darum
Weitere Kostenlose Bücher