Byrne & Balzano 02 - Mefisto
die Liste mit den anstehenden Terminen. Nichts Weltbewegendes. Sie hatten sich für ein kurzes Interview und eine Foto-Session mit einem Reporter vom Pittsburgh Magazine getroffen und waren dann umgehend nach Philadelphia zurückgekehrt. In einer Stunde wurden sie am Set erwartet. Seth wusste, dass Ian sich irgendwo im Hotel aufhielt, und das war gut so. Obwohl Seth noch nie erlebt hatte, dass Ian Filmaufnahmen verpasste, hatte er die Angewohnheit, stundenlang zu verschwinden.
Kurz nach sechzehn Uhr stieg Ian aus dem Aufzug, gefolgt von Aileen, dem Kindermädchen, das Ians sechs Monate alten Sohn Declan auf den Armen hielt. Ians Gattin Julianne hielt sich in Barcelona auf. Oder in Florenz. Oder in Rio. Es war schwierig, auf dem Laufenden zu bleiben.
Ians Produktionsassistentin, Erin, begleitete die beiden.
Erin Halliwell arbeitete seit knapp drei Jahren für Ian, doch Seth hatte schon vor langer Zeit beschlossen, ein Auge auf sie zu werfen. Es war kein Geheimnis, dass die affektierte, barsche und ausgesprochen tüchtige Frau scharf auf Seths Job war. Und sie hätte ihn wohl auch bekommen, wäre sie nicht mit Ian ins Bett gestiegen und hätte dadurch das Aus für ihre weitere Karriere selbst besiegelt. Viele Leute glauben, bei einer Produktionsfirma wie White Light wären Dutzende oder gar Hunderte Full-Time-Mitarbeiter beschäftigt. In Wahrheit arbeiteten dort nur drei Festangestellte: Ian, Erin und Seth. Mehr Mitarbeiter waren bis zum Beginn der Dreharbeiten nicht erforderlich. Erst dann begann die große Einstellungsaktion.
Ian sprach kurz mit Erin, die auf ihren sorgfältig polierten hohen Absätzen herumwirbelte, Seth ein affektiertes Lächeln zuwarf und wieder in den Aufzug stieg. Ian zerzauste Declans flaumiges rotes Haar, durchquerte die Lobby und schaute auf eine seiner beiden Uhren, die nach der hiesigen Zeit gestellt war. Die andere zeigte die Zeit in Los Angeles an. Kopfrechnen war nicht Ians Stärke. Ein paar Minuten hatte er noch Zeit. Er nahm gegenüber von Seth Platz und goss sich einen Kaffee ein.
»Wer ist dran?«, fragte Seth.
»Du.«
»Okay«, sagte Seth. »Nenn mir zwei Filme mit zwei Hauptdarstellern, die beide als Regisseure Oskars gewonnen haben.«
Ian lächelte, schlug die Beine übereinander und strich sich übers Kinn. Er ähnelt immer mehr Stanley Kubrick in seinen Vierzigern, dachte Seth. Die tief liegenden Augen mit dem schelmischen Funkeln. Die teure, lässige Garderobe.
»Gute Frage«, sagte Ian. Mit diesem trivialen Spiel vertrieben sie sich seit fast drei Jahren die Zeit. Seth war noch nie eine Frage eingefallen, die Ian nicht hätte beantworten können. »Vier Schauspieler und Regisseure, die Oskars gewonnen haben. Zwei Filme.«
»Richtig. Aber denk dran, dass sie ihre Oskars für ihre Arbeit als Regisseure und nicht für ihre schauspielerischen Leistungen bekommen haben.«
»Nach 1960?«
Seth starrte ihn schweigend an. Als ob er ihm einen weiteren Hinweis geben würde! Als ob Ian einen Hinweis brauchte. Wie für viele andere Kinokenner auch war für Ian das Jahr 1960 die Demarkationslinie. Filme waren entweder vor oder nach Psycho gedreht worden.
»Vier verschiedene Personen?«, fragte Ian.
Seth starrte ihn nur schweigend an.
»Okay, okay.« Er hob einlenkend die Hände.
Und so lauteten die Spielregeln: Die fragende Person gab der anderen Person fünf Minuten Zeit für die Antwort. Es gab keine Möglichkeit, eine dritte Person hinzuzuziehen oder im Internet zu recherchieren. Wenn man die Frage nicht innerhalb von fünf Minuten beantworten konnte, schuldete man der anderen Person ein Essen in einem Restaurant eigener Wahl.
»Gibst du auf?«, fragte Seth.
Ian warf einen Blick auf eine seiner Uhren. »Ich hab noch drei Minuten.«
»Zwei Minuten und vierzig Sekunden«, korrigierte Seth.
Ian schaute auf das verzierte Deckengewölbe und dachte angestrengt nach. Es sah fast so aus, als hätte Seth endlich eine Wissenslücke bei seinem Boss entdeckt. Zehn Sekunden vor Ablauf der Zeit sagte Ian:
»Woody Allen und Sydney Pollack in Ehemänner und Ehefrauen. Kevin Costner und Clint Eastwood in A Perfect World.«
»Verdammt.«
Ian lachte. Wenn es um Filme ging, machte ihm keiner etwas vor. Er stand auf und nahm seine Umhängetasche. »Wie ist die Telefonnummer von Norma Desmond?«
Ian sagte immer ›ist‹, wenn es um den Film ging. Die meisten Leute benutzten die Vergangenheitsform. Für Ian hatten Filme immer etwas mit der Gegenwart zu tun. »Crestview 5-1733«, sagte
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