Byrne & Balzano 02 - Mefisto
das Gefühl, etwas Besseres finden zu können. Für Geld. Ab und zu blieb ein Geschäftsmann stehen, beugte sich vor und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Byrne machte sich keine Sorgen. Victoria kam allein zurecht.
Byrne trank seine zweite Cola, als sich eine junge Frau näherte und sich an seine Seite stellte. Sie war keine Tänzerin, sondern Prostituierte und arbeitete im hinteren Teil des Raumes. Sie war groß, brünett und trug ein schwarzes Nadelstreifenkostüm und schwarze High Heels. Der Rock war sehr kurz, und unter der Kostümjacke war sie nackt. Byrne vermutete, dass sie die Fantasien vieler Geschäftsleute erregen wollte, die gerne einmal mit ihren Sekretärinnen ins Bett steigen würden. Er erkannte sie als das Mädchen wieder, das vorhin von einem Mann über den Parkplatz gescheucht worden war. Es hatte die gesunde rote Gesichtsfarbe eines Mädchens, das erst vor Kurzem vom Lande, vielleicht aus Lancaster oder Shamokin, hierhergekommen war. Dieser gesunde Teint würde bald verblassen.
»Hallo.«
»Hallo«, erwiderte Byrne.
Sie musterte ihn lächelnd von oben bis unten. Sie war sehr hübsch. »Du bist ganz schön groß.«
»Meine Kleidung auch. Das trifft sich gut.«
Sie lächelte. »Wie heißt du?«, fragte sie laut, um sich gegen die Musik durchzusetzen. Auf dem Podest stand eine neue Tänzerin, eine stämmige Latina in einem erdbeerroten Body und braunen Pumps. Sie tanzte zu einem Song der Gap Band.
»Denny.«
Sie nickte, als hätte er ihr gerade einen Tipp zur Steuerersparnis verraten. »Ich heiße Lucky. Freut mich, dich kennen zu lernen, Denny.«
Sie betonte den Namen so, als wüsste sie, dass es nicht sein richtiger Name war, und als wäre es ihr vollkommen gleichgültig. Im Tick Tock hatte keiner einen richtigen Namen.
»Ganz meinerseits«, sagte Byrne.
»Schon was vor heute Abend?«
»Ehrlich gesagt, suche ich einen alten Freund«, erwiderte Byrne. »Er war früher Stammgast hier.«
»Ach ja? Wie heißt er denn?«
»Julian Matisse. Kennst du ihn?«
»Julian? Ja, den kenne ich.«
»Weißt du, wo ich ihn finden kann?«
»Klar. Ich kann dich zu ihm bringen.«
»Jetzt?«
Das Mädchen sah sich um. »Gibt mir eine Minute.«
»Kein Problem.«
Lucky durchquerte den Raum. Byrne vermutete, dass sie auf das Büro zusteuerte. Er wechselte einen Blick mit Victoria und nickte ihr zu. Nach ein paar Minuten kehrte Lucky zurück, ihre Handtasche über der Schulter.
»Können wir gehen?«, fragte sie.
»Ja.«
»Normalerweise biete ich solche Dienste nicht kostenlos an, verstehst du«, sagte sie mit einem Augenzwinkern. »Wir Mädchen müssen sehen, wo wir bleiben.«
Byrne griff in die Tasche, zog einen Hundertdollarschein heraus und riss ihn entzwei. Eine Hälfte gab er Lucky. Er brauchte dieses Verfahren nicht zu erklären. Sie nahm die Hälfte des Scheins entgegen, lächelte und ergriff seine Hand. »Ich heiße nicht umsonst Lucky.«
Auf dem Weg zum Ausgang wechselte Byrne einen Blick mit Victoria. Er hob fünf Finger.
***
Sie gingen die Straße hinunter zu einem verfallenen Eckhaus, einem der Gebäude, die in Philadelphia ›Vater, Sohn und Heiliger Geist‹ genannt wurden – ein dreistöckiges Reihenhaus. Andere nannten sie auch Dreieinigkeit. In einigen Fenstern brannte Licht. Sie bogen in die nächste Querstraße ein und näherten sich dem Hintereingang des Hauses, betraten es und stiegen die verfallene Treppe hinauf. Stechende Schmerzen schossen Byrne durch Beine und Rücken.
Als sie oben ankamen, stieß Lucky eine Tür auf und trat ein. Byrne folgte ihr.
Die Wohnung war so verdreckt wie die eines Drogensüchtigen. Stapelweise Zeitungen und alte Zeitschriften lagen in den Ecken. Es roch nach verwestem Hundefutter. Ein kaputtes Rohr im Bad oder in der Küche verströmte einen feuchten, salzigen Geruch. Das alte Linoleum war verzogen, die Fußleisten verrottet. In dem Raum brannten ein halbes Dutzend Duftkerzen, die gegen den Gestank jedoch nichts ausrichten konnten. Irgendwo in der Nähe wurde ein Rap-Song gespielt.
Sie steuerten auf den ersten Raum zu.
»Er ist im Schlafzimmer«, sagte Lucky.
Byrne drehte sich zu der Tür um, auf die Lucky zeigte. Er warf einen Blick zurück und erkannte das winzige Zucken im Gesicht des Mädchens, hörte das Knacken der Holzdielen, sah das flackernde Spiegelbild auf dem Fenster zur Straße.
Soweit er es beurteilen konnte, kam da jemand.
Byrne bereitete sich innerlich auf den Zusammenprall vor und zählte im Stillen herunter, als die
Weitere Kostenlose Bücher