Byzanz
trachtete. Er ahnte, was die Vögel zu dieser fast rauschhaften Ausgelassenheit trieb, denn auch er meinte, den Fischreichtum des Meeres riechen zu können. Von Eirene und Loukas eingerahmt standen die Kinder auf der Mole des Kontoskalion-Hafens und winkten wie ihre Eltern den auslaufenden Schiffen nach. Leicht böiger Wind blies ihnen ins Gesicht. Wie jedes Jahr verabschiedete die Familie die kleine Flotte der Notaras, die zu ihrer Handelsfahrt auslief. Auf dem Glück dieser Flotte beruhte ihr Reichtum. Das wussten nicht nur Loukas und Eirene, sondern auch die Kinder, natürlich Anna, auch Theodora schon und selbst der kleine Demetrios, liebevoll Mitri genannt, die um die Wette winkten. Nur der jüngste, Nikolaos, war in der Obhut der Amme im Palast zurückgeblieben.
Etwas abseits von ihnen stand eine in Schwarz gehüllte Frau, deren Haltung Stolz und deren bedächtiges Winken Sorge verriet. Es war die Witwe des Kanzlisten, die im Palast der Notaras die Küche leitete und deren ältester Sohn als Schiffsjunge auf seine erste große Fahrt ging. Loukas lächelte einmal zu ihr hinüber, und sie erwiderte dankbar das Lächeln mit Tränen des Glücks und des Schmerzes in den Augen. Vielleicht würde ihr Sohn eines Tages einmal Kapitän sein. Wenn er sich geschickt anstellte, hatte Loukas ihr versprochen, würde er ihn fördern.
Lange schauten sie, bis die Schiffe nur noch Nussschalen auf dem großen Wasser waren.
»Möge Gott sie schützen«, sagte Loukas.
»Möge Gott sie schützen«, wiederholte die Familie.
»Amen.«
Nach Erreichen des Schwarzen Meeres würde sich die Flotte teilen. Neun Schiffe führen dann nach Norden, nach Kaffa, angeführt von der »Nike«, von Eudokimos, dem Steuermann, der zum Kapitän aufgestiegen war und sogar die Kaffa-Flottille befehligte. Die übrigen acht Schiffe gingen dann auf östlichen Kurs, nach Trapezunt.
Wie in jedem Jahr besuchte, nachdem sie die Schiffe verabschiedet hatte, die Familie die Hagia Sophia, um für das Heil der Flotte zu beten. So war es Brauch, so hatte es der Kapitän eingeführt. Der Handelsherr Loukas Notaras und seine Frau Eirene schlossen in ihre Gebete jedoch weit mehr Schiffe ein als diese siebzehn Galeeren. Davon wussten die Kinder nichts. Später, wenn sie groß genug für die Geheimnisse der Firma waren, würden sie es erfahren. Im Neorion-Hafen im Norden und im Hafen vom gegenüberliegenden Galata lagen noch weitere Galeeren und andere Schiffe, die offiziell Francesco Draperio gehörten, die sie aber in Compagnie mit Loukas als stillem Teilhaber bewirtschafteten. Dadurch verschleierte er seinen wahren Reichtum und hatte teil an den Privilegien, die vor allem venezianische und genuesische Händler im Gegensatz zu den hart besteuerten byzantinischen Kaufleuten genossen. Diese unter genuesischer Flagge fahrenden Gefährte belieferten einerseits die Türken mit Waffen und liefen deshalb Gallipoli an oder fuhren andererseits mit Sklaven, Getreide, Fellen, Pelzen, gefärbtem Tuch und bald schon mit Alaun nach Genua und Pisa. Letztere allerdings warteten wegen der Piratengefahr auf die genuesische Kriegsmarine, die ihnen und anderen Schiffen Geleitschutz gab. Gefahren wurde nur im Konvoi. Türkische, katalanische, griechische und auch italienische Seeräuber verunsicherten die Ägäis, die mit ihren vielen kleinen Inseln und der zerklüfteten Küste den Piraten ideale Verstecke bot.
Loukas hatte also sehr viel mehr, als seine Mitbürger und die Kinder wussten, in seine Fürbitte einzuschließen, denn er handelte mit allem, dass es eine Lust war, mit Alaun, Tüchern, Olivenöl, Getreide, Käse, Fellen, Pelzen, Wein, Waffen, Eisen, nur mit Sklaven, mit Menschen handelte er nicht, weil er das als Sünde empfand.
Auf der Mole zu stehen und Beobachter zu sein, wie seine Schiffe ausliefen, versetzte ihm doch einen leichten Stich, kam ihm bei näherem Zusehen seltsam unwirklich vor, entgegen seiner Routine. Denn zum ersten Mal seit seinem siebzehnten Lebensjahr ging er nicht mit auf Fahrt. Aber die leichte Irritation löste sich auf wie Staub im Wind, wenn er daran dachte, um wie viel schwerer ihm der Abschied mit jedem neuen Familienmitglied in den letzten Jahren geworden war. Er hasste die Trennungen weit mehr, als er das Abenteuer der Seefahrt liebte, weil er glücklich war mit seiner Frau, seinen Kindern und seinen Eltern. Und doch wusste er nur zu gut, dass jedes Glück nur ein Glück auf Zeit darstellte. Er hatte so wenig Zeit zu verschenken, wie er
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