Byzanz
möglich aufzuhellen, um in die Offensive gehen zu können. Wer hatte Loukas ins Visier genommen, und aus welchem Grund?
11
Kaiserpalast, Konstantinopel
Eirene fühlte sich unangenehm überrascht, als Alexios Angelos am Vormittag in ihr Lesezimmer stürmte und die Lektürestunde unterbrach. Dabei befand sie sich in Gedanken schon in der Hagia Sophia unter der großen Kuppel, von der gütig der Weltenherrscher herunterschaute. Wie Sulamith und Salomon würden Loukas und sie vor der Ikonostase stehen. Sie hatte die Meditation über die Passage aus dem Hohelied genossen: »Mein Freund ist mir ein Büschel Myrrhen, das zwischen meinen Brüsten hängt. Mein Freund ist mir eine Traube von Zyperblumen in den Weingärten von En-Gedi.« Damit war es nun vorbei. Verärgert über die Störung schlug sie die fein illustrierte Handschrift zu.
Um seinem Ruf alle Ehre zu machen, hatte er sich ausstaffiert wie ein Pfau, trug ein Brokatwams, darüber eine samtrote Tunika, eine schwarze Samthose und einen spitz zusammenlaufenden Hut mit einer Fasanenfeder an der Seite. Von der Spitze des Hutes funkelte eine Perle. Seine Füße staken in gelben Stiefeln aus Rindsleder. Er stand im Bewusstsein seiner unverzichtbaren Größe und mit dem Gewicht all seiner Vorfahren in dem viel zu engen Zimmer, verneigte sich kurz, herrisch und seiner Vorstellung entsprechend elegant, bevor er gleich zur Sache kam.
»Ich komme, um meinen Abschied zu nehmen. Dringende Geschäfte führen mich nach Rumelien. Wenn ich zurück sein werde, möchte ich, dass wir heiraten. Da unsere Verbindung als ausgemacht gilt, wird mein Vater in meiner Abwesenheit mit deinem Vater alles Notwendige für die Hochzeit besprechen. Also freue dich!«
»Werde ich nicht einmal gefragt?«, hielt Eirene empört dagegen.
»Wozu? Wenn sich die Familien einig sind, wirst du mir eine gute Gemahlin werden. Es ist Brauch, dass die Komnenen und Palaiologen, die Angeloi und die Doukai untereinander heiraten. Darin besteht die Grundlage unseres Reiches, in der Herrschaft und der Verwandtschaft der edlen Geschlechter.«
Die prahlerische Selbstverständlichkeit des adeligen Raufboldes ärgerte sie.
»Abkunft ist nicht alles!«, hielt sie ihm entgegen.
Alexios Angelos lachte aus voller Kehle. »Doch, sie ist es. Du kannst es schon bei Pferden sehen. Eine Schindmähre wird keinen Renner werfen. Ein Kaltblut gebiert kein Warmblut, vorausgesetzt, es ist kein Bastard. Wir haben eine Bestimmung und tragen für den Erhalt des Reiches der Rhomäer eine Verantwortung. Nur wir sind Rhomäer, zum Herrschen geboren. Die anderen sind Griechen, diese Notaras, diese Gudelen und all diese Aufsteiger, die sich mit uns auf eine Stufe zu stellen versuchen, nur weil sie uns dienen dürfen.«
»Und Platon? Platon ist ein Grieche und doch der König der Philosophen, tausendmal mehr wert als du!« Sie ertrug die zur Schau gestellte Selbstgefälligkeit nicht. Unbewusst hatte sie Platon genannt, aber Loukas gemeint. Deshalb und nur deshalb sagte sie jetzt kalt, ohne weiter darüber nachzudenken, einzig und allein um das unerfreuliche Gespräch zu beenden und ihn in seinem Hochmut zu treffen: »Nicht dich werde ich heiraten, nicht so einen aufgeputzten Pfau, sondern einen Mann und wirklichen Herrn, einen wie den Kapitän Loukas Notaras.«
Alexios wankte. Darauf war er nicht vorbereitet gewesen. Der Schlag hatte gesessen. Wie konnte sie nur so niedrig von ihm denken? Was wusste sie denn von ihm? Von der Mission, die er erfolgreich durchgeführt hatte? Von seinem Einfluss bei Hofe? Von seinen Plänen, in denen sie eine nicht unwichtige Rolle spielte? Von seiner Macht? Von ihm, der eines Tages auf dem Thron sitzen würde? Und von ihrer Rolle, dem künftigen Kaiser Söhne und dem Reich eine neue Generation kraftvoller Herrscher zu gebären? Seine Stirnader schwoll an.
Aber darüber durfte er und würde er auch einer Frau gegenüber nicht reden. Dafür, dass sie den Sprössling von Fischern, Seeräubern und Händlern ihm vorzog, hasste er sie jetzt aus tiefster Seele. Jeden Tag ihrer Ehe würde sie diesen Augenblick bereuen, nahm er sich vor. Zerstören würde er alles, was sie liebte. Dann beglückwünschte er sich im Stillen, rechtzeitig gehandelt zu haben, und sagte ihr höhnisch lachend ins Gesicht, jedes Wort dabei auskostend, als wäre es ein Peitschenhieb, mit dem er sie züchtigte: »So, Loukas Notaras heiraten? Vielleicht im Himmel? Oder in der Hölle, wohin dich dein Hochmut noch führen wird? Nicht
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