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Byzanz

Byzanz

Titel: Byzanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fleming
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jedoch auf Erden, denn da suchst du ihn inzwischen vergebens.« Sie starrte ihn an und benötigte eine Zeit, um den Sinn der Worte zu verstehen. Dann ließ sie ihn grußlos stehen, rannte aus dem Zimmer, zog einen Reitrock an, ein Wams darüber und ritt so schnell die vier Beine ihres Pferdes sie trugen zum Palast der Notaras, wo sie eine halbe Stunde später eintraf.
    Eirene hatte keinen Blick dafür, dass Pistazien, Zistrosen und Schlehdorn, die sich am Straßenrand und zwischen den Häusern abwechselten, Knospen ansetzten und den Frühling ankündigten. Sollte sie denn Witwe sein, bevor sie geheiratet hatte?

12
    Notaras-Palast, Konstantinopel
    Sein Leben sank in die Fieberwellen der Nacht. Klopfenden Herzens wartete Loukas unter den Augen des Pantokrators, der von der Kuppel herabschaute, auf Eirene. Tage? Wochen? Monate? Er hatte längst vergessen, wie lange er ihrer hier schon harrte. Wieder öffnete sich die linke der drei mächtigen Türen. Ungewöhnlich laut drang das kratzende Schaben von Metall auf Metall der Türangeln an seine Ohren. Tausende hatte er inzwischen eintreten und die Kirche wieder verlassen sehen. Alte, Junge, Männer, Frauen, Reiche, Glückliche und Unglückliche. Aber Eirene war nicht unter jenen gewesen, die – sei es aus Gewohnheit oder tiefem Glauben, aus Dankbarkeit oder in Bedrängnis, mit Hoffnung oder getrieben von Angst – Gottes Haus betraten, um unter seinen Fittichen Trost und Gewissheit zu finden.
    Endlich erschien sie im Türrahmen. Sie hatte mit den langen, grazilen Fingern ihrer zierlichen Hand das schwere Türblatt aufgedrückt. Leichtfüßig, als schwebe sie über eine dünne Eisdecke, lief sie in die Mitte der Vierung. Aber was war dies? Sie kam zwar auf ihn zu, aber ihr Gesicht verriet keine Regung. Sie stand jetzt neben ihm und spürte ihn nicht! Sie griff durch ihn hindurch, als wäre er Luft. Er blickte ihr fest in die Augen, sie erwiderte seinen Blick nicht. Warum nahm sie ihn nicht wahr? Er war doch da!? Er lebte doch und war kein Geist. Oder irrte er sich?
    Immer enttäuschter schweiften ihre Blicke umher. Schließlich ließ sie die Schultern fallen und wandte sich dem Ausgang zu. Er bemühte sich, ihr zu folgen, konnte sich aber nicht von der Stelle bewegen. Es war, als wänden sich die Schlangen der Pallas Athene um seine Schenkel und hielten ihn fest.
    Eirenes ganze Körperhaltung drückte Kummer aus, aber auch verletzten Stolz. Verzweifelt schrie Loukas gegen die Lähmung an, gegen die Watte, die jeden Laut von ihm erstickte. Als die linke Tür wieder hinter ihr zuschlug, drang er endlich durch: »Eirene!«, rief er verzweifelt.
    Zu spät. Keiner in der Hagia Sophia, der nicht zu ihm blickte, von diesem mächtigen Ton überrascht. Nur sie nicht, sie war fort!
    »Es ist gut, ist ja gut, mein Sohn«, hörte er die beruhigende Stimme seiner Mutter, die ihm die Wadenwickel und das Stirntuch wechselte. In diesem Moment wusste Thekla Notaras, dass ihr Sohn verliebt war in eine Frau, die Eirene hieß. Niemals aber wäre sie auf die Idee gekommen, dass es Eirene Palaiologina, die Enkelin des Kaisers war, für die das Herz ihres Sohnes schlug.
    Sie erhob sich und streckte sich ausgiebig. Das Seidentuch, das sie sich umgeschlungen hatte, glitt dabei zu Boden und gab den Teil der Schultern frei, den das dunkelrote Damastkleid nicht bedeckte. Theklas schlanke Gestalt verlieh ihr ein junges Aussehen. Sie rieb sich die übernächtigten Augen und reckte die von der unbequemen Haltung schmerzenden Glieder. Aber all das war nichts gegen die Sorge, die sie quälte: Unverändert kämpfte ihr Sohn unruhig im Schlaf mit dem Knochenmann auf Leben und Tod.
    Thekla fühlte weder Hunger noch Durst, nur das Verlangen, bei ihm zu sein, wenn er die Augen aufschlug. Die Tür öffnete sich einen Spalt und zum Vorschein kam der völlig verunsicherte Demetrios, ihr jüngster Sohn. Sie winkte den vierzehnjährigen Knaben zu sich.
    »Wie geht es Loukas?«
    »Bete für deinen Bruder, Demetrios, dann wird alles gut.«
    Der Knabe nickte eifrig.
    »Willst du das tun?«
    Demetrios versprach es. Dann verdunkelte Zorn seine weichen Gesichtszüge. »Ich will Rache!«
    Thekla lächelte gerührt, weil ihr sanftmütiger Sohn, der keiner Fliege etwas zuleide tun konnte, nach Vergeltung rief. Sie durfte nicht lachen, das hätte ihn verletzt, denn er war ein guter, aber auch ein sensibler Junge. »Die Rache ist mein, spricht der Herr. Du aber bete! Geh zu Vater Dionysios und gib eine Ikone in Auftrag,

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