Byzanz
Heiratspläne musste rasch ein Ende gesetzt werden.
»Und die teatra endet bald?«
»Ja.«
»Alle Herren wohnen in Blachernae?«
»Nur Basilius nicht, er lebt im Kloster bei der Apostelkirche.«
»Durch die engen Gassen der Altstadt muss Notaras also allein?«
»Oh ja!«
Alexios lachte laut und böse auf. »Es treibt sich aber auch zu viel Gesindel dort herum! Pack, das keinerlei Achtung empfindet, nicht einmal vor einem kaiserlichen Kapitän.«
»Ihr wisst doch, wie diese Seeleute sind. Sie gehen zu diesen liederlichen Frauen und werden im Streit mit einem Lochkonkurrenten erschlagen!«, sagte Georgios.
Der Fürst sah den Gelehrten erst verdutzt, dann belustigt an. »Was für Ausdrücke du kennst, Schreiberling! Stehen die etwa in deinen Büchern? Aber bei meiner Treu, es wird so sein. Der weiße Ritter Eirenes wird im Streit um eine Hafennutte erschlagen. Dann ist sein Ruf so tot wie er. Man tötet den Mann nicht, wenn man seinen Ruf am Leben lässt. Und die stolze Dame wird endlich lernen, dass nur der Adel wahren Wert besitzt. Armer Kapitän, du meinst, es ist ihr Lachen, das so hell klingt, dabei ist es nur dein Totenglöcklein, das dir geschlagen hat!« Er sah kalt zu seinem Fechtmeister hinüber. »Jacques, es gibt Arbeit. Beweise, dass deine Klinge etwas taugt.«
10
Kaiserpalast, Konstantinopel
Der Kapitän besuchte Woche für Woche die Dienstagsgesellschaft der Enkelin des Kaisers und konnte sich sein Verhalten nicht erklären. Es zog ihn mit unbezähmbarer Macht zu ihr. Er genoss die klugen Gespräche über Literatur, Kunst, den Glauben, die Geschehnisse in der Geschichte und Gegenwart und steuerte dort, wo es erwünscht und passend war, eigene Erlebnisse bei. Aber sosehr er diese Begegnungen liebte, so verdrossen sie ihn auch. Viel lieber hätte er sich mit Eirene unter vier Augen unterhalten! Sie waren einander nah und doch fern. Ihre Blicke suchten sich heimlich, ihre Worte spielten miteinander. Sie lauerten darauf, ihnen eine verborgene Bedeutung mitgeben zu können. Niemand in dem Kreis ahnte etwas von dem Spiel, das sie miteinander trieben, niemand außer dem wachsamen Sphrantzes, der Alexios treulich Bericht erstattete. Und dieser wartete nur darauf, dass sich Jacques le Lame endlich die Gelegenheit bot, dem Spiel ein blutiges Ende zu setzen.
Als das Gespräch auf Christus und Maria aus Magdala kam, erwähnte Eirene wie nebenbei, dass sie am nächsten Tag in der Hagia Sophia über die Kreuzigung Christi meditieren wolle. Ein kurzer Blick flog zwischen beiden hin und her, und ihre Verabredung war besiegelt. Loukas verstand, dass Eirene zur sechsten Stunde, in der Christi Kreuzigung gedacht werden sollte, weil sie zu dieser Zeit geschah, in der Hagia Sophia sein würde. In der riesigen Sophienkirche fände sich mit Sicherheit ein Ort, an dem sie unbeobachtet miteinander unter vier Augen sprechen könnten, wo sie zwar in der Öffentlichkeit, dennoch aber allein sein würden. Endlich!, dachte er.
Die Dämmerung tauchte in die Dunkelheit, als Loukas und Basilius den kaiserlichen Palast verließen. Wie in den Wochen zuvor folgte ihm auch diesmal unauffällig ein Schatten. Das Herz des Kapitäns floss über vor Glück. Am nächsten Tag würde er Eirene ohne die anderen sehen und mit ihr frei und ohne Verstellung über das reden, was beide bewegte. Ein Blick konnte die Welt verändern und ein Lächeln die Erde verzaubern. Die Stunden bis dahin kamen ihm nun wie Tage, wie Monate vor. Dennoch blieb morgen morgen, und keine Minute verging ihm zuliebe schneller, sondern hielt sich an das Gleichmaß, das dem einen eilend, dem anderen trödelnd erschien.
Basilius plauderte auf dem Weg munter wie ein Wasserfall über Platon, in dessen Philosophie er immer tiefer eindrang. Er sprach mit der Begeisterung eines Liebenden von den Vorstellungen des alten Denkers, für den die Welt nur ein Schatten der Ideen darstellte. Die Seele verdankte ihre Unsterblichkeit der Fähigkeit, sich an die Ideen zu erinnern, die sie schaute, bevor sie selbst an einen Leib gebunden wurde. Die Art der Erinnerung nannte der alte Philosoph Begriff. Mittels der Begriffe erinnerte sich die Seele an die Ideen. Doch Loukas nickte nur in den Pausen und murmelte hin und wieder ein »Aha« und »Ach ja«, hörte aber gar nicht zu, denn die Spekulationen des Aufstiegs der Seele zum Absoluten kamen ihm viel zu abstrakt vor. In der Nähe der Apostelkirche auf dem vierten Hügel, die wie ein sterbender alter Mann wirkte, der mit unbewegter
Weitere Kostenlose Bücher