Byzanz
und ihm in die Augen schaute, an den Händen.
Wehmütig dachte Eirene daran, wie schnell doch das Leben verging und ob man angesichts der kurzen Frist auf Erden die Zeit nicht mit zu vielen Nebensächlichkeiten vergeudete. Dadurch blieb zu vieles Wichtige auf der Strecke. Und sie fragte sich, ob sie zu oft mit Loukas stritt. Warum verleideten sie einander die wenigen Stunden, die ihnen in der Woche blieben? Selbst wenn sie an dem Kurs, den er einschlug, mit ganzem Verstand zweifelte, blieb er doch von ganzem Herzen ihr Mann. Er sorgte für die Firma, die gedieh, für die Familie, für sie. In einem hatte er gewiss recht, dass kein anderer Mann so viel über seine Unternehmungen mit seiner Frau redete wie er. Sprach es nicht auch für ihn, dass er Anna nicht in eine Existenz zwang, die sie unglücklich machen würde, nur weil sie eine Frau war? Eirene zweifelte nicht daran, dass er sie mit auf seine Handelsreisen genommen hätte, wenn nicht so schnell die Kinder gekommen wären. Was warf sie ihm eigentlich vor? Während ihr diese Gedanken durch den Kopf gingen, spürte sie jemanden in ihrem Nacken. Sie wandte sich um, da stand er, Loukas, und beobachtete in einer Mischung aus Rührung und Sorge seine Eltern. Sie konnte die Frage, die ihn bewegte, von seinen Augen lesen. Wie würde seine Mutter mit dem Tod seines Vaters zurechtkommen?
»Du musst mehr Zeit für ihn aufbringen, Loukas«, sagte Eirene und ärgerte sich, dass ihr wohlmeinender Rat in seinen Ohren wie ein Vorwurf klingen musste.
»Ich weiß. Heute noch der Geheime Rat, dann versuche ich ein paar Tage nur für ihn da zu sein.« Er wollte ihr einen Kuss geben, konnte sich aber nicht dazu durchringen und ging. Wir sind in einem Zustand ständigen Missverstehens angekommen, stellte Eirene fest. Sie atmete tief durch, rang sich zu einem Lächeln durch und betrat das Zimmer.
»Ablösung. Ich glaube, Thekla braucht jetzt etwas Ruhe.«
»Davon habe ich als junger Mann immer geträumt, von den Händen der einen Frau in die Hände der anderen übergeben zu werden«, scherzte der Alte.
»Vor oder nach unserer Bekanntschaft?«, fragte Thekla streng, aber ihre müden Augen lachten.
»Vorher«, versicherte er.
»Du bist ein Lügner, Nikephoros!«
»Wieso?« Ehrlich erstaunt riss er die Augen auf.
»Weil dein Traum in Erfüllung gegangen ist. Von den Händen deiner Mutter bist du direkt in meine gekommen«, erklärte Thekla unumwunden. Dann wollte sie sich erheben, aber es fiel ihr schwer, nachdem sie so lange in dieser Haltung gesessen hatte. Eirene half ihr.
»Ein Mann von Welt wäre aufgesprungen und hätte mir geholfen!«, rüffelte sie ihren Mann, als sie wieder fest auf ihren kleinen in Samtpantoffeln steckenden Füßen stand.
»Aber ich kann doch nicht aufstehen«, breitete Nikephoros hilflos die Arme aus.
»Was macht das schon, dann wäre es stärker gewesen«, sagte sie leichthin, bevor sie das Zimmer verließ.
»Sie ist und bleibt kompliziert«, schloss der alte Seeräuber voller Bewunderung. Eirene setzte sich auf den Schemel neben dem Bett. Sie wollte ihn danach fragen, wie sie einander kennengelernt hatten, als Nikephoros sie bettelnd anblickte: »Wann darf ich denn endlich wieder aufstehen, Mama?«
»Noch nicht, aber bald, mein Sohn«, antwortete Eirene, die sich inzwischen an die schnellen Rollenwechsel und an die Rolle gewöhnt hatte.
Loukas traf kurz vor dem Kaiser als Letzter der Räte im Besprechungssaal ein. Johannes wirkte zerstreut, als er zu seinem Thron schritt und sich darauf niederließ. Er hielt ein Pergament hoch.
»Lies das vor, Großadmiral!«, befahl er.
Loukas spürte eine gewisse Feindseligkeit in der Aufforderung. Er nahm das Blatt, stellte sich links neben den Kaiser und begann, den Brief von Alexios Angelos vorzulesen. Darin informierte der Fürst Johannes VIII. darüber, dass Papst Eugen IV. den ungarischen König vom Eid, mit dem er das Friedensabkommen mit dem Sultan bekräftigt hatte, befreit und dass Wladislaw den Kreuzzug wieder aufgenommen hatte. Jetzt würden sie auf die byzantinischen Kontingente warten, die der Kaiser versprochen hatte. Schon beim Lesen überlegte sich Loukas, wie er darauf reagieren sollte. Er hatte kaum geendet, als ihn Johannes schon fragte, wozu er rate. Der Großadmiral spürte, dass der Kaiser sich in einem Stimmungstief befand und diese Frage am liebsten vermieden hätte, weil ihm alles über den Kopf wuchs. Der Herrscher schleppte sich nur noch zu den Amtsgeschäften. Er war müde,
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