Byzanz
wo Gott ihn vor eine so große Aufgabe stellte, wollte er ihn gleichzeitig vernichten. War das die Strafe für seine Sünden? Für sein verfehltes Leben? Das Wesen, das ihm damals die Macht verheißen hatte, hielt er inzwischen für einen Abgesandten des Teufels. Wie bitter war es, im Angesicht des Todes auf ein verfehltes Leben zurückblicken zu müssen!
»Was sollen wir bloß tun?«, fragte der König mutlos.
»Was schon? Kämpfen! Wenn jeder von uns fünf von denen da den Garaus macht, haben wir gewonnen«, verkündete Hunyadi, als sei dies nur eine Frage der Arithmetik.
»Morgen, wenn wir zur Schlacht antreten, entscheidet sich das Schicksal der Christen auf dem Balkan. Mit Gottes Hilfe werden wir siegen, oder Er wird den Türken zum Würgeengel machen, zum Vollstrecker seiner Strafe. Die Orthodoxen, die Byzantiner und die Serben haben uns verraten. Das sagt alles über den Zustand ihrer Kirche! Wird Gott sich ihrer erbarmen? Hier stehen treue Söhne der römischen Kirche, die für ihre orthodoxen Brüder kämpfen wollen, von denen sich keiner sehen lässt! Aber wie dem auch sei, wir streiten morgen für die Ehre Christi«, predigte Cesarini mit einer festen und vollen Stimme, die man dem kleinen Mann nicht zugetraut hätte.
Alexios, der sich bis jetzt aus Scham abseits gehalten hatte, trat zu seinen Gefährten.
»Es steht mir nicht zu, dem Herrn Kardinal zu widersprechen. Er hat in allem recht, und der Verrat meiner Brüder ist ein Feuer in meinem Herzen. Aber eines soll nicht vergessen werden, dass sechzig Männer aus Konstantinopel für die Ehre der Rhomäer streiten. Wir werden nicht wanken!« Cesarini ging auf Alexios zu und legte ihm die Hand auf den Kopf, wozu er sich allerdings auf die Zehenspitzen stellen musste. »Du sollst gesegnet sein!«
»Meine Herren, die Nacht wird kurz. Um vier Uhr wird der Kardinal einen Feldgottesdienst feiern, danach nimmt das Heer Aufstellung«, befahl der König.
In der Nacht machte Alexios kein Auge zu, denn er dachte an seine Frau. Hatte er sein Leben vergeudet? Er bat Gott um Verzeihung und um eine zweite Chance, um seines Kindes willen.
Um sechs Uhr morgens standen sich die beiden Heere gegenüber. Die Türken nahmen Aufstellung in Form eines Halbmondes. Im Zentrum stand die Elitetruppe der Janitscharen, schwerbewaffnete Fußsoldaten in ihren langen Dolamas in Blau, Rot oder Gelb. An der rechten und linken Spitze die Sipahi in ihren roten Mänteln, zu Pferde und mit Lanzen bewaffnet. Ihre Aufgabe bestand darin, die Flügel des Feindes in Auflösung zu bringen, damit die Janitscharen dann ein vollkommen verwirrtes Heer massakrieren konnten. Vor ihnen hatten die Hilfstruppen Aufstellung genommen, Freiwillige, die für Beute kämpften.
Für Hunyadi indes stellte diese Aufstellung keine Überraschung dar. Er kannte die Taktik des Feindes hinlänglich. In der Mitte des christlichen Heeres stand hinter den Fußtruppen der König mit seinen Rittern und Alexios Angelos. Hunyadi mit seinen Drachenrittern, seinen böhmischen und deutschen Kriegern, behielt es sich vor, als Reserve dort einzugreifen, wo das Heer wankte oder in Unordnung geriet. Sie hatten nicht genügend Männer, um überall gleich stark zu sein, also mussten sie rechtzeitig an gefährdeten Abschnitten für Verstärkung sorgen.
Der Himmel klarte langsam zu einer freundlichen Bläue auf. Die Sterne verabschiedeten sich nach und nach, fast ein wenig widerwillig, als würde man sich nicht wiedersehen. Die Heere standen sich stumm gegenüber. Eine Stunde lang geschah nichts.
»Sie trauen sich nicht anzugreifen«, sagte Alexios zum König.
»Sie denken, wir sind mehr«, antwortete Wladislaw, dem man die Anspannung anmerkte.
»So wollen wir kämpfen, als seien wir mehr!«, entgegnete Alexios ruhig. Er hatte kaum geendet, da wurde es still. Kein Luftzug regte sich. Ihn beschlich ein unheimliches Gefühl. Nach einiger Zeit blies ihm Wind ins Gesicht, der an Stärke zunahm, bis er plötzlich pfiff und heulte und sich allmählich zu einem gewaltigen Sturm auswuchs. Die Türken, die im Schatten des Gebirges standen, verschonte er, während er über die Christen im Tal hinweggaloppierte, sie stieß und schlug und trat.
Alexios hatte das Gefühl, dass der Wind sein Pferd in die Knie zu zwingen drohte. Er duckte sich unter den Böen und hielt seinen Kopf an den Hals des Tieres. Wie eine erste Angriffswelle, dachte er. Hatte sich selbst die Natur gegen sie erhoben? Wollte Gott sie vernichten? Als der Sturm sich
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