Cadence Jones ermittelt: Drei sind zwei zu viel (German Edition)
und, wie schon gesagt, auf alles gefasst.
Doch nicht auf nichts. Wir waren auf alles vorbereitet, aber genau das geschah nicht.
Es geschah nämlich absolut gar nichts.
70
»Bedauerlich.« So fasste Michaela unsere Gefühle in ihrer üblichen abgeklärten Weise zusammen. Stundenlang hatte es im Vortragssaal von Zuhörern, Feds und Ortspolizisten nur so gewimmelt. Doch inzwischen waren auch die Letzten gegangen.
»Eine verdammt nervige Scheiße«, lautete Georges Kommentar. »Ich glaub’s einfach nicht, dass wir ihn nicht herlocken konnten. Und dann dieser Vortrag! Wie hat der Typ es bloß geschafft, die Stinney-Geschichte dermaßen langweilig rüberzubringen? Ich hätte mich am liebsten an meinen Eingeweiden aufgehängt. Ich kann einfach nicht glauben, dass es nicht geklappt hat!«
»Vielleicht hätte es geklappt«, widersprach Michaela. »Die Profiler hatten ja empfohlen, dass der Professor über George Stinney und das Verbrechen sprechen sollte, das an ihm begangen wurde, jedoch nicht über die Morde, die danach geschahen. Aber sie haben uns nicht versprochen, dass JB mit ausgestreckten Händen antreten und um seine Verhaftung betteln würde. Sie haben nicht prophezeit, dass eine erzwungene Gegenüberstellung zu einem Geständnis führen werde. Wie immer war dieses Vorgehen eine Möglichkeit, dem Täter näherzukommen. Wenn wir genauso denken wie der Täter, können wir ihn auch erwischen. Das wissen Sie doch, George.«
»Wollen Sie wissen, wie es in meiner Vorstellung aussieht? Die haben uns das alles versprochen. In meiner Vorstellung hat mir der Bürgermeister den Stadtschlüssel überreicht und den Schlüssel zu sämtlichen Damenumkleidekabinen sämtlicher Fitnessstudios in der Stadt.« Er seufzte. »Hör’n Sie, der Vortrag ist schon fast zwei Stunden vorbei, die Cowboys haben ihr Spielzeug mitgenommen und sind nach Haus geritten, und ich brauche dringend einen Drink, also warum lassen wir’s nicht ... «
»Glaubt ihr etwa all den Mist über den armen Jungen?«, fragte ich so laut dazwischen, dass alle erschrocken zusammenzuckten. Normalerweise benutze ich meine laute Stimme nur, wenn ich einen der bösen Buben stelle. »Ich meine, heiliger Strohsack, es ist doch einfach grauenvoll.« Ich atmete tief durch, um meinen You-betcha!- Akzent zu verstärken. Garrison Keillor ist es zu verdanken, dass die Kultur Minnesotas auf ewig in der Welt verrufen sein wird. In den Siebzigern, als er seine Karriere begann, war unser Ruf nämlich gar nicht so schlecht, denn Minnesota war kein beliebtes Urlaubsziel. Die Leute fuhren lieber mit ihren Kids nach Disney World oder besuchten den Grand Canyon, und Flitterwöchner reisten ohnehin nach Cancun oder Paris.
Dann schrieb Keillor seine Stories über den Lake Wobegon. Und sie waren gut! So wurde unser prächtiger, schöner Bundesstaat nach und nach … geoutet! Und niemand fragte, ob uns das auch gefiel, am wenigsten Keillor. Hätte man uns gefragt, dann hätten wir Keillor höflich gesagt, dass wir es vorzögen, weiterhin ein verborgener Winkel der Welt zu bleiben. Es sagte uns sehr zu, dass alle anderen Amerikaner der Meinung waren, der August in Minnesota sei doch gar zu kalt.
Aber dann … Dann! Kam Fargo – Blutiger Schnee in die Kinos. Dass wir uns nicht missverstehen: Ich habe überhaupt nichts gegen die Geschichte, die Schauspieler usw. … es ist ein erstaunlicher Film. Ich will ihn ganz gewiss nicht verunglimpfen.
Aber dieser schreckliche Akzent! Du meine Güte! Nicht jeder in diesem Teil des Landes muss jede Frage mit einem »You betcha!« beenden oder andauernd »Yah« brummeln.
»Klar isses kalt heute.« »You betcha!« Nein.
»Also, dann woll’n wir mal zurückfahrn, yah?« »Yah!« Nein.
Doch jetzt ist unser Geheimnis offengelegt worden. Alle Welt kennt nun unsere dichten Wälder, unsere klaren, sauberen Seen und Flüsse, unsere frische Luft und unsere reichen Ernten. Die Ernten! Mais und Zuckerrüben, Weizen und Roggen, Kartoffeln und Hirse, Sorghum und Sonnenblumen. Wir haben so viel zu essen, dass wir der Welt eine ganze Menge davon abgeben könnten.
Und vergessen Sie nicht den sanften Akzent unserer Sprache und die durchweg friedliche Bevölkerung. Wikipedia beharrt ja darauf, dass Minnesota Nice bloß ein moderner Mythos sei, aber Wikipedia ist dumm, denn es weiß nur, was die Leute ihm erzählen. Vertrauen Sie jedoch nicht meiner vorurteilsbehafteten Meinung, sondern machen Sie sich selbst ein Bild, indem Sie unsere Verbrechensstatistik
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