Café Luna: Verbotenes Glück
Irgendwo tropfte Wasser, doch niemand bog um die Ecke. Keine Schritte waren mehr zu hören. Vielleicht hatte sie sich getäuscht? Ärgerlich warf sie den Rest der Zigarette hinaus. Wie lange wollte der Herr sie eigentlich noch warten lassen?
„Dort vorne ist die Post.“
Der alte Volvo hielt hoheitsvoll wie ein Ozeandampfer, der in seinen Heimathafen einlief, am Straßenrand.
„Danke fürs Mitnehmen!“ Claus stieg schwungvoll aus und nickte dem Chefröster von Comtess Coffee zu. „Kein Thema, Chef!“ Herr Cabuhn zeigte Claus den erhobenen Daumen. Claus hatte sich diese Poststelle extra ausgesucht, weil sie weit außerhalb lag, schon fast in Schleswig-Holstein. Niemand hier kannte ihn, niemand interessierte sich für ihn. Schnell holte er seine Briefe aus dem eigens für die Korrespondenz mit Christine eingerichteten Postfach. Auch heute wurde er nicht enttäuscht. Ein in Christines eleganter Handschrift adressierter Umschlag lag für ihn bereit. Claus zügelte seine Ungeduld – so wie jedes Mal (nun ja, fast immer). Claus war nahezu süchtig nach Christines Worten. Nach ihren Gedanken, nach diesen kleinen eingestreuten Bemerkungen, die man dahin gehend interpretieren konnte, es gehe ihr ähnlich wie ihm. Als könnte auch sie nicht genug bekommen von seinen Briefen, seinen Gedanken – kurz: von ihm. Claus steckte den Umschlag in seine Jacketttasche und lief den kurzen Weg bis zur Bushaltestelle. Dass er auf seine alten Tage noch auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen würde, hätte er sich auch nicht träumen lassen. Valerie allerdings sicherlich auch nicht. Was für ein Glück, dass er heute die Treppen genommen hatte! Claus lächelte in sich hinein. Beinahe hätte sie ihn erwischt. Doch dann hatte ihre Zigarettenspitze sie verraten. Er hatte sich nicht weiter gewundert, ihren Wagen um diese Uhrzeit in der Garage zu entdecken. Oft genug heckte sie ihre finsteren Pläne in den entlegensten Stellen der Firma aus, umschwärmt von ihren Untertanen, wie er bei sich jene Mitarbeiter nannte, die für Valerie alles machten – legal oder nicht. Doch dann hatte er diesen kleinen orangefarbenen Punkt aufglühen gesehen und war stehen geblieben. Einer Eingebung folgend hatte er sich blitzschnell rückwärts um die Ecke bewegt und war die restlichen Stufen bis zum Mitarbeiterparkplatz hinuntergestiegen, wo er nicht lange auf eine Mitfahrgelegenheit hatte warten müssen. Hätte Herr Cabuhn gewusst, dass er damit half, Valerie ein Schnippchen zu schlagen, er hätte seinen Chef vermutlich noch lieber gefahren. Obwohl – vermutlich reimte sich der gerissene Chefröster sowieso seinen Teil zusammen. Ein asthmatisches Brummen kündigte den Bus an, Claus fischte Kleingeld aus seiner Hosentasche und stieg zufrieden ein.
„Das sieht ja wirklich ziemlich übel aus“, diagnostizierte Matthis mit Blick auf seinen allerletzten Patienten für heute – ein echter Notfall, so viel stand jetzt schon fest. Er wünschte, er hätte Konstantin nicht warten lassen. Anscheinend hatte sein bester Freund es sich in der Zwischenzeit auf einer der Untersuchungsliegen gemütlich gemacht – gemeinsam mit einer Flasche Hochprozentigem.
„Konstantin!?“, versuchte Matthis es nun zum x-ten Male und hob schließlich, als sich noch immer nichts regte, eines seiner Augenlider. Konstantin brummte unwillig und wich nach hinten aus. Die Folge war ein riesiger Knall und ein lädiertes „Autsch!“. Anstatt seinen Fall abzufedern, hatte Konstantin beide Arme hochgerissen, um ja keinen Tropfen Wodka zu verschütten.
„Bist du okay?“ Matthis beugte sich zur anderen Seite und sah zu seinem Freund hinunter, der sich nun mühsam vom Boden aufrappelte. „Was ist passiert? Hab ich mir den Kopf angeschlagen?“
„Nicht bei mir“, antwortete Matthis mitfühlend und half Konstantin auf. „Das Steißbein sollte dir wehtun, der Kopf eigentlich erst morgen früh.“
„Dann ist jetzt morgen früh“, beschied Konstantin und ließ sich stöhnend wieder auf der Liege nieder. Matthis setzte sich neben ihn. „Was ist los mit dir?“
„Was wohl?! Alles!“
Entschuldigend knuffte Matthis ihm in die Seite. „Ja, du hast recht. Ich glaube, die Frage hätte lauten sollen: Gibt es einen aktuellen speziellen Anlass?“
„Den brauch ich nicht, mein Leben reicht.“ Konstantin blickte angeekelt auf die Flasche in seiner Hand, dann nahm er einen tiefen Schluck und schüttelte sich. „Meinst du, es wird irgendwann mal besser?“, fragte er dann und klang
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