Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Camorrista

Titel: Camorrista Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giampaolo Simi
Vom Netzwerk:
sterben.) Vielleicht sage ich es. Ich weiß es nicht.
    Vielleicht sage ich irgendetwas anderes. Dann ziehen sie mich an einem Arm hoch.
    »Ich will wissen, wohin wir gehen«, stammle ich.
    »Du willst es wissen? Sehr gut. Es geht ganz in die Nähe, zum Flughafen San Giusto.«
    Sie nehmen meine Handys und lassen mich ins Schlafzimmer gehen.
    Ich ziehe Jeans und zwei T-Shirts übereinander, irgendwelche, schlucke ohne Wasser noch eine orangefarbene Pille und stecke den Rest der Packung in die Tasche.

3
     
     
    I ch zittere vor Kälte.
    In alten Kirchen wird es niemals richtig warm. Immer mehr bin ich davon überzeugt: Wenn Gott ein Abgrund ist, dann ist dies gewiss der Atem des gleichgültigen Vaters.
    Es gibt nur ein Schiff, dessen Boden ganz aus Grabplatten besteht, die durch jahrhundertelanges Begehen glänzend geworden sind. Durch die Kirchenfenster dringt kein Licht. Die kleine Kirche ist ganz in einer Metastase aus Nischen, unverputzten Mauern und verrosteten Geländern verschwunden. Der Wald aus Kerzen erzittert ein wenig, auch wenn ich sachte vorbeigehe.
    Zwei Kollegen sind im Vestibül geblieben. Der Chef des Trios hat mir gesagt, ich solle mich in die erste Bank auf der linken Seite setzen, und ist dann hinter dem Altar verschwunden. Ich nehme an, dass er den einzigen anderen möglichen Ausgang bewacht.
    Ich höre es im Holz eines Beichtstuhls knarren und sehe jemanden vorbeigehen, dort oben, an der Brüstung der Empore. Der Schatten taucht noch einmal vor den metallischen Orgelpfeifen auf.
    Ich gehe nahe an einem Weihwasserbecken vorbei, will schon die Hand hineinstecken, doch es ist trocken. Die Augen des Totenkopfes sind dunkle Ringe im blassblauen Stein. Ich verzichte darauf, mich zu bekreuzigen, und setze mich hin. In meinen Ohren klingt noch das Dröhnen des Hubschraubermotors nach, doch auch in Kirchen gibt es keine Stille, keine wahre Stille. Da ist immer etwas wie der Nachhall eines
Flüsterns. Noch von den fernsten Seufzern bleibt etwas zurück.
    Irgendwann jedoch höre ich eine Stimme. Wirklich eine Stimme, die zu mir spricht. Doch als ich mich umschaue, ist außer mir niemand da.
    »Hierher kamen die Bosse des Viertels, bevor sie sich daran machten, ein Problem zu regeln, wegen einer Verfehlung einzuschreiten.«
    Ich erstarre und zittere noch mehr, sodass die Bank unter meinen Füßen knarrt.
    »Vor Jahren kamen sie hierher, um das Messer in Weihwasser zu reinigen. Dann, um die Hand einzutauchen, die schießen sollte. Denn wenn das Messer oder die Hand gesegnet waren und die Tat gelang, bedeutete dies, dass Gott verstanden und vergeben hatte. Bei der Rückkehr küssten sie den Totenkopf. Sie dankten dem Tod, dass er sie nicht geholt hatte. Haben Sie gefühlt, wie glatt er ist? Er ist glatter als die Haut eines Unschuldigen, sagt man hier.«
    Ich schaue zur Decke hoch. Das hölzerne Hängewerk scheint mir unerreichbar, im Halbdunkel verliere ich das Gefühl für die Perspektive.
    »Ich habe Don Anselmo noch gekannt. Eines Tages beschloss er, das Weihwasserbecken nicht wieder zu füllen. Zuerst protestierten die frommen Mitglieder der Pfarrgemeinde. Dann legten sie Feuer an die Tür zur Sakristei, und zum Schluss wurde er vom Bischof versetzt. Aber in der Zwischenzeit hatte sich die Sache herumgesprochen, und sie mussten damit aufhören.«
    Ich sitze, aber ich habe das Gefühl zu schwanken.
    »Bis in die sechziger Jahren waren die Schlachthöfe direkt hinter der Kirche. Und die Klageschreie der Tiere störten die Gottesdienste. Vor allem die Schweine spüren sofort, wenn sie sterben müssen. Das störte die Sammlung der Gläubigen. Also ließ der Prior eine Studie zur Akustik anfertigen und veränderte die Apsis, restaurierte die Orgel und richtete eine Musikschule ein. Beinahe zu jeder Stunde übertönte das Lob
des Herrn die Schreie der Tiere, die zum Schlachten geführt wurden. Auch ich habe hier Gesangsunterricht gehabt, als kleiner Junge, es war das letzte Jahr der Schlachthöfe. Danach hat man sie außerhalb der Stadt angesiedelt, und den Großhandel mit Fleisch haben sie ganz in die Hand genommen, zuerst die Molino, dann die Capoferro, heute Renzo Antoniolo. Und die Gesangsschule haben sie geschlossen. Sie war zu nichts mehr nütze.«
    Da taucht jemand auf, unter einem violetten Brokatbaldachin, der schon für eine Prozession geschmückt ist. Christus ist der einzige Tote im April, dem es gelingen wird, wiederaufzuerstehen, im Duft der Schnittblumen zu seinen Füßen gärt schon die

Weitere Kostenlose Bücher