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Camus, Albert

Camus, Albert

Titel: Camus, Albert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Mensch in der Revolte
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Konkurrenz und Herrschsucht in zwei feindliche Blöcke spalten kann; beide sind jedoch auf wirtschaftlicher Ebene den gleichen Gesetzen unterworfen: der Kapitalanhäufung, der rationalisierten und unaufhörlich steigenden Produktion. Der politische Unterschied, die mehr oder weniger große Allmacht des Staates, ist belangvoll, könnte aber durch die wirtschaftliche Entwicklung verringert werden. Einzig der Unterschied der Moral, formale Tugend gegen geschichtlichen Zynismus, scheint beständig. Doch der Imperativ der Produktion beherrscht die beiden Reiche und macht aus ihnen, in wirtschaftlicher Hinsicht, eine einzige Welt. 84
    Wenn auch der wirtschaftliche Imperativ nicht mehr zu leugnen ist 85 , sind seine Folgen auf jeden Fall nicht die von Marx vorausgesehenen. Wirtschaftlich ist der Kapitalismus durch das Phänomen der Anhäufung ein Unterdrücker. Er unterdrückt durch sein eigenes Wesen, er häuft an, um sein eigenes Wesen zu vermehren, er beutet umso mehr aus und häuft dementsprechend noch mehr an. Marx sah als Ende dieses Höllenzirkels nur die Revolution. Dann wäre die Anhäufungnur in geringem Maß nötig, um die sozialen Einrichtungen zu gewährleisten. Doch die Revolution industrialisiert sich ihrerseits und erkennt, dass die Anhäufung an der Technik selbst liegt und nicht am Kapitalismus, dass die Maschine schließlich nach der Maschine ruft. Jedes kämpfende Kollektiv muss seine Einkünfte aufhäufen, statt sie zu verteilen. Es häuft an, um zu wachsen und seine Macht zu vermehren. Ob bürgerlich oder sozialistisch, es verschiebt die Gerechtigkeit auf später, zugunsten der alleinigen Macht. Die Macht jedoch trifft auf den Widerstand anderer Mächte. Sie rüstet sich aus und bewaffnet sich, weil die andern Gleiches tun. Sie hört nicht auf, anzuhäufen, und hört damit nie auf bis zum Tage, da sie vielleicht allein die Welt beherrschen wird. Zu diesem Zweck muss sie durch den Krieg hindurchgehen. Bis zu diesem Tag erhält der Proletarier kaum so viel, sein Leben zu fristen. Die Revolution ist genötigt, mit einem großen Aufwand an Menschen die industrielle und kapitalistische Zwischenstufe zu schaffen, die ihr eigenes System verlangt. Die Rente wird ersetzt durch die Mühsal des Menschen. Die Sklaverei ist nun allgemein, die Himmelspforten bleiben geschlossen. Das ist das wirtschaftliche Gesetz einer Welt, die von der Anbetung der Produktion lebt, und die Wirklichkeit ist noch blutiger als das Gesetz. In der Sackgasse, in die ihre bürgerlichen Feinde und nihilistischen Anhänger sie hineingedrängt haben, ist die Revolution Sklaverei. Wenn sie nicht ihre Prinzipien oder ihren Weg ändert, bleibt ihr kein anderer Ausweg als die knechtischen, im Blut erstickten Revolten oder die scheußliche Hoffnung auf Atom-Selbstmord. Der Wille zur Macht, der nihilistische Kampf um die Herrschaft haben mehr getan, als die marxistische Utopie wegzufegen. Diese ist selber eine geschichtliche Tatsache geworden, bestimmt, wie die andern benutzt zu werden. Sie, die die Geschichte beherrschen wollte, hatsich in ihr verloren; sie, die alle Mittel sich dienstbar machen wollte, wurde eingeschränkt auf den Zustand eines Mittels und zynisch gehandhabt für die banalsten und blutigsten Zwecke. Die ununterbrochene Entwicklung der Produktion hat das kapitalistische Regime keineswegs zugunsten der Revolution ruiniert. Sie hat gleichermaßen die bürgerliche und die revolutionäre Gesellschaft zugrunde gerichtet zugunsten eines Götzenbildes, das die Schnauze der Macht trägt.
    Wie konnte ein Sozialismus mit wissenschaftlichem Anspruch dermaßen mit den Tatsachen zusammenprallen? Die Antwort ist einfach: Er war nicht wissenschaftlich. Sein Fehlschlag rührt im Gegenteil von einer recht doppeldeutigen Methode her, wollte sie doch gleichzeitig deterministisch und prophetisch, dialektisch und dogmatisch sein. Wenn der Geist nur das Spiegelbild der Dinge ist, kann er ihren Gang nicht vorwegnehmen, außer durch die Hypothese. Wenn die Theorie durch die Wirtschaft determiniert ist, kann sie die Vergangenheit der Produktion beschreiben, aber nicht ihre Zukunft, die nur wahrscheinlich bleibt. Aufgabe des historischen Materialismus kann nur die Kritik der gegenwärtigen Gesellschaft sein, über die zukünftige Gesellschaft kann er, ohne dem wissenschaftlichen Geist untreu zu werden, nur Vermutungen anstellen. Nennt sich sein Hauptwerk darum ‹Das Kapital› und nicht ‹Die Revolution›? Marx und Marxisten ließen sich dazu

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