Canard Saigon (German Edition)
Mordserie aufzuklären?“, hatte einer gerufen. „Wann geben Sie den Fall endlich ab?“, hatte ein anderer gefragt. „Liegt die Sicherheit unserer Bevölkerung in den Händen von inkompetenten Parteigünstlingen?“, wieder ein anderer. Speziell die Medienleute der konservativen Blätter hatten sich ereifert und ständig nach seiner Ablöse gefragt. Marc hatte die meisten Fragen mit steinerner Miene, sachlich und knapp beantwortet. Aber es hatte wehgetan. Äußerlich gelassen, aber innerlich aufgewühlt, hatte er nach Beendigung der Pressekonferenz fluchtartig das BKA verlassen. Mit dem kurzen Hinweis, er mache jetzt einen Lokalaugenschein, hatte er sich im War Room verabschiedet und war losgefahren. Während der Fahrt zum Rupertusplatz waren ihm tausend Gedanken durch den Kopf gejagt. Dies hätte er besser formulieren können, das hätte er schärfer zurückweisen müssen, und insgesamt hätte er sich anders verhalten müssen. In der Nachbetrachtung waren ihm so gute Antworten eingefallen. Warum nicht während der Pressekonferenz?
Marc entschied, noch eine Zigarette zu rauchen. Noch war er zu aufgebracht, um ordentliche kriminalistische Arbeit zu leisten. Nach wie vor jagten Gedankenfragmente durch seinen Kopf. Banale Rachegelüste, wie er es den einzelnen Journalisten heimzahlen könnte. Er könnte sie observieren lassen, sie wegen Verkehrsdelikten anzeigen. Ihnen auflauern und wegen Trunkenheit am Steuer den Führerschein entziehen. Aber Marc schob diese aufflackernden Ideen sofort beiseite. Er dachte sie nicht zu Ende und ärgerte sich, solch kindischen Vorstellungen nachzuhängen. Im nächsten Moment stellte er sich die Frage, ob die Medienleute nicht recht hätten. Sein Team hatte noch keine Spur. Vielleicht waren sie wirklich unfähig. Vielleicht hätte ein anderer Ermittler den Täter bereits überführt. Vielleicht sollte er den Fall wirklich abgeben. Aber welche Fehler habe ich, hat mein Team gemacht, fragte sich Marc. Was würde ich anders machen, wenn ich nochmals beginnen könnte? Er ging den Fall gedanklich noch einmal durch. Und kam zu dem Schluss, dass er alles genauso wieder machen würde. Mit der gleichen Vorgangsweise und demselben Team. Und er entschied weiterzumachen. Sollte er morgen abgelöst werden, sollte es eben so sein. Aber bis dahin würde er sich voll auf seine Aufgabe konzentrieren.
Marc drückte die Zigarette aus und stieg aus dem Wagen. Vom Eingang der Ballettschule machte er sich zu Fuß auf den Weg, den vor zwei Tagen die kleine Zamira das letzte Mal in ihrem Leben beschritten hatte. Nach wenigen Metern wandte er sich nach links, in die Alszeile. Etwa 50 Meter weiter bog er nach rechts auf den Himmelmutterweg ab. Er blieb stehen und ahnte, dass er den Ort der Entführung gefunden hatte. Dieses Teilstück des Himmelmutterwegs bis zur Einmündung der Zwerngasse auf der linken Seite war etwa 100 Meter lang. Die rechte Straßenseite war von Büschen gesäumt, hinter denen eine ausgedehnte Grünfläche lag. Auf der linken Seite standen mächtige Bäume. 20 Meter dahinter befand sich eine Wohnanlage. Ein idealer Platz für eine Entführung, dachte Marc. Ein parkender Kastenwagen würde unter den Bäumen maximalen Sichtschutz genießen. Und jeder Fußgänger würde arglos am Wagen vorbeigehen. Marc schlenderte den Himmelmutterweg ungefähr 70 Meter entlang und blieb wieder stehen. Hier muss der Täter dem Mädchen aufgelauert haben, dachte er. Er suchte nach etwaigen Spuren, gab aber bald auf. Gegenstände waren nicht zu sehen, und Fußabdrücke oder Reifenspuren hatte der Regen vernichtet. Man sollte nicht glauben, wie viele Orte es in einer Millionenstadt gibt, an denen man unbeobachtet einen Menschen entführen kann, dachte Marc. Und der Täter kennt viele davon.
Marc Vanhagen war schon auf dem Rückweg zu seinem Auto, als sein Handy läutete. Er holte das Handy aus seiner Jackentasche und sah auf dem Display, dass Sandra Kessler anrief.
„Hallo Sandra, hast du Neuigkeiten?“, fragte er.
„Endlich tut sich etwas“, antwortete Sandra. „Soeben ist der VW Tiguan in die Hauseinfahrt gefahren. Wie wir erkennen konnten, saß Frau Burek am Steuer und ihre Tochter am Rücksitz. Der Hausherr war nicht im Wagen. Simon und ich gehen jetzt rein.“
„Habt ihr im Umfeld von Burek recherchiert?“
„Gut, dass es mobiles Internet gibt. Simon und ich haben uns die Wartezeit verkürzt und uns schlaugemacht. Es scheint so, als ob Burek mit beruflichen Schwierigkeiten zu kämpfen
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