Cantucci-Herzen brechen nicht: Roman (German Edition)
langsam bewegenden Gruppe alter Frauen, die ihr den Weg versperrten. So viele alte Frauen! Wo bewahrten sie die jungen auf?
Egal aus welcher Richtung Lily versuchte, die schlurfende Gruppe zu überholen, es schien sich ununterbrochen ein Knäuel vor ihr zu bilden. Aber als sie kurz davorstand, die Geduld zu verlieren und zu verlangen, dass man ihr entweder Platz machte oder schneller ging, blieben die Frauen stehen und lotsten sie mehr oder weniger wie eine Erbse, die eine Rutsche herunterkullert, durch die offene Tür ins Poliziano, ein bezauberndes altmodisches Café mit Ausblick auf das Tal.
Ein grauhaariger alter Mann lehnte an der Theke und nippte an einem Weinglas, und Lily brauchte keine weitere Aufforderung. Sie durchquerte das Café und ging nach oben zu einem kleinen Julia-Balkon, von dem aus man das Tal überblicken konnte. Darauf hatte nur ein Tisch Platz, und so setzte sie sich, bestellte einen Kaffee und, nachdem sie so tat, als würde sie kurz zögern, da es noch nicht einmal elf Uhr war, ein Glas Prosecco. Der Kaffee war gut, aber der Prosecco war besser. Die sprudelnden Bläschen schienen die riesige Falte zu glätten, die Francesca in Lilys Morgen hinterlassen hatte.
Die Kleine traf keine Schuld, sie war … nun, Lily wollte nicht darüber nachdenken, was sie war. Sie war perfekt. Jetzt war es heraus. So einfach war das. Perfekt. Aber warum waren ihre Haare ungekämmt? Warum hatten ihre Flügel Löcher? Wer kümmerte sich, oder besser gesagt, kümmerte sich nicht um diese schmuddelige kleine Tinker Bell? Lilys fehlende Gewissheit schaute für eine kurze Stippvisite vorbei, während sie an ihrem Prosecco nippte. Würde Daniel in diesem Moment durch die Tür kommen, wäre sie sicher, was sie tun würde. Sie würde ihn erschießen. Mitten ins Herz. Dann in den Kopf, und dann in die Eier. Und dann würde sie das, was von ihm übrig war, an die Schweine verfüttern.
Sie bestellte einen zweiten Prosecco.
Dies tröstete ihr wundes Herz etwas mehr.
Von dem Balkon, auf dem sie saß, hatte Lily einen ähnlich fantastischen Ausblick wie von ihrem Zimmer, und nach genauerem Nachdenken wusste sie nicht, warum sie diesen Platz ausgesucht hatte – es war ein Tisch für zwei, ein hoffnungslos romantischer Ort, um einem geliebten Menschen tief in die Augen zu blicken und sich fortreißen zu lassen in der prachtvollen Umgebung.
War Daniel mit seiner Geliebten hier gewesen?, fragte sie sich. Hatten sie schon genau an diesem Tisch gesessen und sich verliebt in die Augen geschaut, während Francesca und ihr kleiner Bruder zu Hause sich selbst überlassen waren? Wer war dieser Mann, den sie so lange Zeit so gut gekannt hatte? Ein Lügner, ein Betrüger, nicht einmal ein guter Vater.
Lily stellte ihr Glas zurück auf den Tisch. Sie war in die Toskana gekommen, weil sie ihren Mann wollte, weil sie die Liebe zurückgewinnen wollte, die sie früher geteilt hatten, weil sie zurückbekommen wollte, was sie verloren hatte. Aber nun erkannte sie, dass das vergebliche Mühe war.
Es war eine Sache, ein Foto zu betrachten und eine Situation vernünftig einzuschätzen, selbst auf eine betrunkene »Mein Mann hat eine andere Familie, und ich muss etwas dagegen unternehmen«-Art. Aber die Resultate mit eigenen Augen zu sehen? Zu spüren, wie dieser kleine Körper sich gegen ihren drückte? Davon gab es kein Zurück.
Sie sah hinüber zu der Standuhr in der Ecke. Es war immer noch nicht Mittag, aber unter Berücksichtigung des Zeitunterschieds, ihres Jetlags und ihrer brodelnden Emotionen zog Lily ein drittes Glas Prosecco in Erwägung. Schließlich enthielt er kaum Alkohol. Praktisch wie Limonade. Fiel kaum ins Gewicht.
Aber etwas an der Art, wie die Kellnerin (endlich jemand unter dreißig) sie ansah, als sie kam, um ihr leeres Glas abzuräumen, ließ sie es sich anders überlegen.
Sie bezahlte, gab großzügig Trinkgeld und beschloss, beflügelt von dem bisschen Alkohol in diesem italienischen Bubbelwasser, ein Internetcafé zu suchen oder ein Telefon, um sich mit Pearl in Verbindung zu setzen.
Der Gedanke an die Arbeit katapultierte Lily ein Stück zurück in ihr altes Selbst. Sie wusste, wo sie stand, wenn es um Heigelmann ging – dort hatte sich nichts geändert –, aber nach wenigen Schritten außerhalb des Cafés hörte sie jemanden nach ihr rufen.
»Signora! Signora Turista!«
Sie drehte sich um und entdeckte Alberto, der ihr vor seinem Laden winkte.
»Hallo!«, rief er. »Ich wollte gerade wieder Mittag
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