Carl Mørck, Sonderdezernat Q Bd.4 - Verachtung
oder sie würden die Fürsorge bitten, die Sache der Polizei und den Behörden zu übergeben.
»Du kennst das doch. Du hast ja schon mal versucht, ein Kind wegzumachen«, sagte ihre Pflegemutter ohne jedes Mitgefühl, und dann fuhr ihr Pflegevater mit ihr los und setzte sie vorm Haus des Arztes ab. Sie könne nachher, wenn sie fertig sei, mit dem Bus zurückkommen, er habe nicht den ganzen Tag Zeit für so was. Er wünschte ihr weder alles Gute noch viel Glück, aber vielleicht sollte sein Lächeln Entschuldigung ausdrücken. Vielleicht auch Schadenfreude.
Nete fand nie heraus, was er eigentlich gedacht hatte.
Lange hatte sie in dem grün getünchtcn Wartezimmer gesessen, schaukelte jetzt vor und zurück auf ihrem Stuhl und presste die Knie aneinander. Von dem Geruch der Kampfertropfen und der Medizin, der in der Luft hing, war ihr übel geworden, und sie hatte Angst vor den ärztlichen Instrumenten und der Untersuchungspritsche. Doch die Zeit schlich nur so dahin, während die anderen Patientinnen eine nach der anderen hinter der Tür des Sprechzimmers verschwanden und behandelt wurden. Sie hörte die Stimme des Arztes, die tief und ruhig war - aber nicht beruhigend.
Da sie als allerletzte Patientin des Tages an die Reihe kam, nahm ein Arzt, der jünger war als derjenige, den sie erwartet hatte, ihre Hand und begrüßte sie freundlich. Wegen dieser Stimme konnte sie ihre Vorbehalte ablegen. Und als er hinzufügte, er könne sich gut an sie erinnern, und dann fragte, ob sie sich in ihrer neuen Familie wohlfühle, nickte sie nur, und schon war sie in seiner Macht.
Sie wunderte sich nicht, als er die Sprechstundenhilfe nach Hause schickte, und auch nicht, als er die Tür abschloss. Hingegen wunderte es sie schon etwas, dass der junge Arzt und nicht sein Vater vor ihr stand und sie ansah wie eine alte Bekannte. Dabei hatten sie sich doch nur dieses eine Mal getroffen, damals, als der alte Arzt in Begleitung seines Sohnes nach ihrem Abort zu ihnen nach Hause gekommen war.
»Du hast die große Ehre, meine allererste gynäkologische Patientin zu sein, Nete. Mein Vater hat mir gerade seine Praxis überlassen. Nun bin ich es, zu dem du Herr Doktor sagen darfst.«
»Ja, aber mein Pflegevater hat doch Ihren Vater angerufen, Herr Doktor. Wissen Sie, was nun geschehen soll?«
Er stand vor ihr und musterte sie auf eine Weise, die sie nicht mochte. Dann ging er hinüber zum Fenster, zog die Vorhänge zu und wandte sich mit einem Blick zu ihr um, der ihr sagte, dass hinter dem Kittel und diesen Augen etwas sehr Privates lauerte.
»Ja, das weiß ich«, sagte er schließlich, als er sich ihr gegenübersetzte und den Blick von ihrem Körper löste. »Nun ist es ja leider so, dass man in diesem Land Schwangerschaftsabbrüche nicht einfach so nach Belieben durchführen kann. Deshalb solltest du dich freuen, dass ich die gleiche barmherzige Einstellung habe wie mein Vater. Aber das weißt du wohl, oder?«, sagte er und legte ihr die Hand aufs Knie. »Du weißt sicher auch, dass wir alle beide große Schwierigkeiten bekommen, wenn über unsere Begegnung heute auch nur ein einziges Wort verloren wird.«
Sie nickte still und streckte ihm den Umschlag hin. Abgesehen von fünf Zweikronenstücken, die sie in der Tasche hatte, lag darin alles, was sie in den beiden letzten Jahren angespart hatte, und dazu noch ein Hundertkronenschein, den ihre Pflegemutter beigesteuert hatte. Insgesamt vierhundert Kronen. Sie hoffte, dass das reichte.
»Nete, lass uns damit noch etwas warten. Zuerst musst du mal auf den Behandlungsstuhl. Du kannst deine Unterhose dort auf den Hocker legen.«
Sie tat, was er sagte, starrte dann auf die Bügel für die Beine und dachte, so hoch würde sie nicht kommen. Obwohl sie sich fürchtete, musste sie kichern. Alles war so unwirklich und so komisch.
»Hopsasa«, sagte er und hob ihre Beine in die Bügel, und dort lag sie nun mit entblößtem Unterleib und wunderte sich, warum es so lange dauerte, bis etwas geschah.
Sie hob den Kopf und sah, wie er zwischen ihre Beine starrte.
»Nun musst du ganz still liegen«, sagte er und wackelte mit dem Unterleib, als hätte er gerade seine Hose aufgeknöpft und ließe sie nun herunterrutschen.
Im nächsten Augenblick wusste sie, dass sie richtig gesehen hatte.
Zuerst spürte sie seine behaarten Schenkel an ihren. Ganz kurz kitzelte es, bevor sie den Stoß in ihren Unterleib spürte, worauf sich ihr Körper wie ein Flitzebogen nach hinten bog und dann
Weitere Kostenlose Bücher