Carl Mørck, Sonderdezernat Q Bd.4 - Verachtung
herausgekommen. Und das war sogar für ihn machbar.
Er sah auf die Uhr. Vermutlich war es okay, Mona um diese Zeit anzurufen, egal, wie feucht der Abend bei Mathilde gewesen war.
Als sie endlich abnahm, klang sie allerdings gar nicht so, als wenn es okay wäre.
»Hab ich dich geweckt?«, fragte er.
»Nein, mich nicht. Aber Rolf.«
Wer zum Teufel war Rolf? Sämtliche Sonntagsdepressionen schienen sich auf einen Schlag zu verdichten. Ein unkontrollierbares Abwärtstrudeln.
»Rolf?« Er stellte die Frage wie auf Zehenspitzen und mit bösen Vorahnungen. »Wer ist das?«
»Das braucht dich nicht zu kümmern, Carl. Darüber können wir ein andermal sprechen.«
Aha, können wir das?
»Warum rufst du an? Um dich dafür zu entschuldigen, dass du nicht wusstest, wie meine Tochter heißt?«
Sie war verdammt kaltblütig. Ja, den Liebhaber-Schlüssel hatte er bekommen, aber wer sagte denn, dass sie nicht Zweit- und Drittschlüssel verteilt hatte? Zum Beispiel an einen Typen namens Rolf? Unbestreitbar minderte das die Wirkung der frohen Botschaft, die er ihr eigentlich hatte mitteilen wollen.
Er versuchte, das Bild eines durchtrainierten Oberkörpers zu verdrängen, der auf den Namen Rolf hörte und sich auf seinem Terrain tummelte.
»Nein, deshalb nicht. Ich rufe nur an, um dir zu erzählen, dass Vigga und ich uns über die Grundlagen unserer Scheidung geeinigt haben. Ich rufe an, um zu sagen, dass ich bald wieder ein freier Mann bin.«
»So was aber auch. Wie schön für dich, Carl.« Begeisterung klang da nicht heraus.
Er war es, der das Gespräch beendete und danach mit hängendem Kopf und dem Handy in der Hand auf der Bettkante saß.
Was für ein Absturz.
»Warum hockst du 'n hier rum und maulst, Kalle?« Jesper stand draußen auf dem Flur.
»Deine Mutter und ich lassen uns scheiden.«
»Na und?«
»Was na und, Jesper? Hat das für dich vielleicht nichts zu bedeuten?«
»Nee, was geht mich das an?«
»Das will ich dir sagen, mein Freundchen. Das geht dich so viel an, dass es die zweitausend Kronen, die du in den beiden letzten Jahren klammheimlich kassiert hast, von Stund an nicht mehr gibt.« Carl klatschte in die Hände, damit der Knabe hören konnte, wie der Kassendeckel zuknallte.
Jesper, sonst nie um einen Spruch verlegen, fiel als Antwort auf diese Ansage nichts anderes ein, als seinerseits zuzuknallen, was sich auf dem Weg durchs Haus zuknallen ließ.
Missmutig, wie er war, beschloss Carl, dass er den Pflichtbesuch bei der zukünftigen Ex-Schwiegermutter genauso gut gleich absolvieren konnte.
Den Mann im graublauen Anzug, der sich mitten auf dem Parkplatz an die geöffnete Autotür lehnte, nahm er nur mit einem Auge wahr. Denn abgesehen davon, dass der Typ den Kopf wegdrehte, als Carl vorbeiging, sah er genauso aus wie all die anderen jungen Kerle, die dort parkten, wenn sie darauf warteten, dass eine Jungfrau für einen Sonntagsquickie aus einem der Betonkästen schlüpfte. Außerdem war Carl alles schnuppe, seit er Rolf geweckt und Mona verärgert hatte.
Er fuhr die fünfzehn Kilometer bis zum Bakkegården in Bagsværd, ohne den Verkehr oder den Novembermatsch auf den Wiesen und Feldern wahrzunehmen. Und als ihn die Pflegerin ins Haus ließ, würdigte er sie kaum eines Blickes.
»Ich muss Karla Alsing besuchen«, erklärte er kurz angebunden einer weiteren Altenpflegerin in der Demenz-Abteilung.
»Die schläft«, lautete ebenso barsch und knapp die Antwort, und das passte Carl ganz prima.
»Sie ist derzeit echt die Pest«, fuhr die Frau unerwartet gesprächig fort. »Und sie raucht auf dem Zimmer. Dabei weiß sie genau, dass das strengstens verboten ist, weil das im Heim insgesamt nicht erlaubt ist. Wir haben keine Ahnung, woher sie die Zigarillos hat. Aber da wissen Sie vielleicht mehr?«
Carl beteuerte seine Unschuld. Er war seit Monaten nicht hier gewesen.
»Na gut. Wir haben jedenfalls gerade wieder eine Packung Zigarillos kassiert. Das ist echt ein Problem. Sagen Sie ihr bitte, sie soll ihre Nikotintabletten nehmen, wenn sie so einen Japp hat. Die schaden wenigstens nur ihrem Geldbeutel.«
»Ich werde dran denken und es ihr ausrichten«, erwiderte Carl, ohne überhaupt richtig zugehört zu haben.
»Hallo Karla«, sagte er zu seiner Schwiegermutter, ohne mit einer Reaktion zu rechnen. Sie lag mit geschlossenen Augen auf dem Sofa und ließ Luft an ihre eingefallenen Schenkel, die aus einem Kimono ragten, den Carl durchaus schon mal gesehen hatte, aber noch nie so weit
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