Carl Mørck, Sonderdezernat Q Bd.4 - Verachtung
Gäste kommen.«
Er lächelte. »Na, wenn's weiter nichts ist, dann geht es ja. Das Essen ist übrigens gut, ich habe es selbst probiert.«
»Das Schlimmste ist, dass sie uns hassen. Dass wir denen egal sind. Dass die uns alle gleich behandeln und uns nicht anhören wollen.«
Er lachte. »Dann solltest du mal meinen Chefredakteur kennenlernen. Du hast ihn gerade beschrieben.«
Sie hörte, dass sich das Grüppchen der Angestellten zerstreute, und als die Vorsteherin sie am Arm packte und wegzerrte, konnte sie gerade noch sehen, wie sich der Mann unten im Boot einen Zigarillo anzündete und sich seinen Angelruten zuwandte.
Sie war nicht angehört worden, jedenfalls nicht richtig. All ihre Gebete waren vergebens gewesen. Sie war nichts weiter als ein unbedeutendes Körnchen Sand.
Anfangs hatte Nete in der Strafzelle gelegen und geweint. Und da das nichts nützte, hatte sie aus vollem Hals geschrien, sie sollten sie freilassen, und schließlich hatte sie gegen die Tür getreten und daran gekratzt. Und als die Aufseherinnen es leid waren, sich diesen Radau anzuhören, drangen zwei von ihnen in die Zelle ein, verdrehten Netes Arme in die Zwangsjacke und banden sie an der Wand fest.
Mehrere Stunden lag sie nun da und redete mit der kahlen weißen Wand, als ob die einstürzen und ihr den Weg in die Freiheit ebnen könnte. Schließlich ging die Tür auf und die Vorsteherin trat ein, gefolgt von ihrer emsigen, kleinen Assistentin.
»Ich habe mit Herrn William von der Illustrierten ›Fotoreportage‹ gesprochen. Du kannst froh sein, dass er nicht die Absicht hat, etwas von den Ammenmärchen zu veröffentlichen, die du ihm aufgetischt hast.«
»Ich habe ihm keine Ammenmärchen aufgetischt. Ich lüge nie.«
Nete sah den Schlag nicht kommen, der sie auf den Mund traf, aber als Wiesels Hand erneut ausholte, war sie in höchster Alarmbereitschaft.
»Nun, nun, Fräulein Jespersen. Es geht auch ohne das«, bremste die Vorsteherin. »Diese Art Ausreden bin ich gewöhnt.«
Dann blickte sie wieder auf Nete herab. Vielleicht mochten ihre Augen im täglichen Umgang noch einen Hauch Menschlichkeit ausstrahlen. Nun waren sie eiskalt.
»Ich habe Curt Wad angerufen und ihn darüber in Kenntnis gesetzt, dass du noch immer an diesen unverschämten Lügen über ihn festhältst. Es könnte interessant sein, dachte ich, zu hören, was ich seiner Meinung nach mit dir machen sollte. Und er antwortete, angesichts deines Starrsinns und deiner Verlogenheit könnte die Strafe nicht lang genug dauern.« Sie tätschelte Netes Hand. »Das ist zwar nicht seine Entscheidung, aber ich folge dennoch seinen Worten. Du bleibst fürs Erste eine Woche hier drinnen, dann werden wir sehen, wie du reagierst. Und wenn du dich ordentlich beträgst und nicht schreist, lösen wir die Zwangsjacke schon morgen. Was meinst du dazu, Nete? Wollen wir sagen, das ist eine Abmachung?«
Nete ruckte am Gurt.
Wortloser Protest.
Wo bleibt er nur?, dachte Nete in ihrem Wohnzimmer. Hatte Curt Wad tatsächlich die Absicht, sie zu versetzen? War er tatsächlich so arrogant, dass ihn nicht einmal die Aussicht auf zehn Millionen Kronen aus seinem Fuchsbau lockte? Damit hatte sie nun gar nicht gerechnet.
Verzweifelt schüttelte sie den Kopf. Das war das Letzte, was geschehen durfte. Wenn sie die Augen schloss, sah sie immer den schmächtigen Anwalt vor sich, der sie verzagt anstarrte. Aber Nørvig war lediglich Curt Wads Lakai gewesen, und wenn sie ihn zur Rechenschaft zog, dann musste Curt Wad erst recht dran glauben.
Sie biss sich auf die Lippen und warf einen Blick auf die englische Uhr, deren Pendel unbarmherzig hin- und herschwang.
Konnte sie nach Mallorca fliegen, ohne die Sache abgeschlossen zu haben? Nein, ausgeschlossen, das ging nicht. Curt Wad war der Wichtigste von allen.
Um sich abzulenken, nahm sie ihr Strickzeug zur Hand. »Nun komm schon, du Schwein!«, murmelte sie ein ums andere Mal, während sie fieberhaft die Stricknadeln klappern ließ. Zwischendurch sah sie immer wieder aus dem offenen Fenster hinunter zum Weg am See.
Die große Gestalt dort hinten beim Bunker, war er das? Nein. Und der Mann da hinten? Nein, auch nicht.
Was mache ich nun?, dachte sie.
Da klingelte es und vor Schreck zuckte sie zusammen. Aber es war nicht die Klingel mit der Gegensprechanlage unten an der Haustür, sondern die direkt an der Wohnungstür.
Eilig legte sie das Strickzeug aus der Hand und vergewisserte sich noch einmal mit einem prüfenden Blick, ob auch alles in
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