Carl Mørck, Sonderdezernat Q Bd.4 - Verachtung
Stelle blickte sie von ihren Papieren auf und sah Carl vielsagend an. Damit war die Sache mit dem in die Jahre gekommenen Vater geklärt. Sex mit der Sekretärin, das uralte Thema. Philip Nørvig schien ein Mann gewesen zu sein, der wusste, was er wollte.
»Er kandidierte mehrmals für den Vorsitz der lokalen Sportverbände und wurde für drei Amtszeiten gewählt. Am Ende saß er sowohl dort wie im Kirchenvorstand. Bis 1982. Da wurde ihm Mandantenbetrug in seiner Anwaltskanzlei vorgeworfen und er musste von seinen Posten zurücktreten. Die Sache kam vor Gericht, aber aus Mangel an Beweisen wurde er nicht verurteilt. Trotzdem verlor er viele Klienten, und in den verbleibenden fünf Jahren bis zu seinem Verschwinden rutschte sein Vermögen tief ins Minus und man nahm ihm den Führerschein wegen Trunkenheit am Steuer ab.«
»Hm.« Carl schob die Unterlippe vor und dachte, eine Zigarette würde sowohl der Gesundheit als auch dem Denken auf die Sprünge helfen.
»Nein, Carl. Du rauchst jetzt nicht, kommt nicht in die Tüte!«, kam ihm Rose zuvor.
Carl sah sie verblüfft an. Woher in aller Welt ...?
»Äh, ich weiß eigentlich nicht, warum du das sagst, Rose.« Er räusperte sich, nun kratzte es auch noch im Hals. »Sag mal, Assad. Hast du vielleicht einen Tee in deinem Samowar?«
Die braunen Augen leuchteten kurz auf, dann wurden sie wieder matt. »Nein. Aber du kannst einen guten Kaffee bekommen, was hältst du davon?«
Carl schluckte. Da würden sich die Grippeviren ja zu Tode erschrecken.
»Aber bitte nicht zu stark, Assad.« Seine Stimme hatte einen flehentlichen Klang. Nach dem letzten Kaffee hatte eine halbe Rolle Klopapier dran glauben müssen, das wollte er nicht noch mal riskieren.
»Also. Dass beide Personen unter ähnlichen Umständen verschwinden, ist die einzige Parallele zwischen den zwei Fällen«, resümierte er. »Und dass sowohl Nielsen als auch Nørvig an dem Tag nach Kopenhagen müssen. Bei Rita Nielsen kennen wir den Grund nicht, aber Nørvig sagt klipp und klar, er müsse zu einem Treffen. Das ist nicht viel, Rose.«
»Du hast den Zeitpunkt vergessen, Carl. Sie verschwinden am selben Tag und fast zur selben Zeit. Das ist doch merkwürdig.«
»Nee, Rose, da braucht's schon ein bisschen mehr, um mich zu überzeugen. Wie sieht's mit den beiden anderen Fällen auf der Liste aus?«
Sie blickte auf ihr Papier. »Da haben wir einen Viggo Mogensen, aber von dem wissen wir nichts. Der verschwindet einfach. Zuletzt gesehen im Hafen von Lundeborg, wo er mit seinem Kutter Kurs auf den Großen Belt nahm.«
»Er war Fischer?«
»Na ja, das war nur ein kleines Schiff. Früher hatte er einen richtigen Kutter, aber der wurde abgewrackt. Vermutlich wegen irgendeiner bescheuerten EU-Auflage.«
»Wurde sein Schiff gefunden?«
»Ja, in Warnemünde. Zwei Polen hatten es mitgehen lassen, die behaupteten allerdings, es hätte lange einfach in Jyllinge herumgelegen, bevor sie es sich unter den Nagel rissen. Das könnte man nicht Diebstahl nennen, fanden sie.«
»Und was sagten die Leute vom Hafen in Jyllinge?«
»Die sagten, dass stimme nicht. Dort habe kein Schiff gelegen.«
»Wenn die Polen dem Mann das Schiff mal nicht gestohlen und ihn über Bord gekippt haben.«
»Nein, Fehlanzeige. Von August bis Oktober 1987 hatten sie einen Job in Schweden. Als Mogensen verschwand, waren sie überhaupt nicht in Dänemark.«
»Wie groß war das Schiff? Kann es unbemerkt irgendwo gelegen haben?«
»Das finden wir schon noch raus«, war von der Tür her zu hören. Dort stand Assad mit einem hübsch ziselierten Tablett aus waschechtem Silberimitat. Die Größe der Kaffeetassen erfüllte Carl mit Grausen. Je kleiner, umso schlimmer. Und diese hier waren winzig.
»Prost, Carl«, sagte Assad, dem das Fieber aus den Augen leuchtete und der aussah wie einer, dem künstliche Beatmung guttäte.
Ein großer Schluck und der Kaffee war weg. War ja gar nicht so schlimm, dachte Carl, aber das Gefühl hielt nur vier Sekunden an. Dann reagierte der gesamte Körper, als hätte er eine Mischung aus Schweröl und Nitroglyzerin eingenommen.
»Gut, was?«, rief Assad.
Kein Wunder, dass seine Augen glühten.
»Okay«, prustete Carl. »Viggo Mogensen lassen wir noch ein bisschen ruhen. Meine Nase sagt mir, dass seine Geschichte nichts mit dem Fall Rita Nielsen zu tun hat. Hängt Viggo Mogensens Fall eigentlich an unserer Anschlagtafel, Assad?«
Der schüttelte den Kopf. »Man neigte schließlich zu der Annahme, es handele sich um
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