Carl Mørck, Sonderdezernat Q Bd.4 - Verachtung
vierundfünfzig. Nicht unbedingt die typische Lebensphase, um spurlos zu verschwinden. Vorher, wenn man wild und jung war und voller stürmischer Gefühle - ja. Und danach, wenn Krankheiten, Einsamkeit und die Enttäuschungen des Lebens einen eingeholt hatten - ja, dann auch. Aber diese vier Menschen waren weder jung noch alt gewesen, die waren alle so mittendrin. Doch auch daraus konnte man nichts ableiten. Wie gesagt, so simpel war Statistik nicht.
Mindestens zwei Kilo leichter, zog Carl nach einer halben Stunde den Gürtel stramm.
»Assad, du kochst den Kaffee zu stark«, jammerte er und warf sich auf den Bürostuhl.
Da grinste ihn der Kerl doch glatt an!
»Das war nicht der Kaffee, Carl. Du hast nur das Gleiche wie wir anderen. Husten, Schnupfen und Scheißen wie ein Maschinengewehr. Und vielleicht auch rote Augen. Dauert normalerweise zwei Tage, aber du scheinst schneller zu sein, Carl. Alle hier im Präsidium sind vom Lokus nicht mehr runtergekommen. Bis auf Rose, glaube ich. Rose hat bestimmt die eiserne Gesundheit eines Dromedars. So einem Viech kann man Wasserstoffbomben oder Ebola in den Rachen schmeißen - und es wird einfach nur dicker.«
»Wo ist sie, Assad?«
»Im Internet, sie sieht was nach. Eine Sekunde, dann ist sie wieder hier.«
»Was habt ihr gefunden?« Carl bezweifelte Assads Erklärung der Bauchprobleme, denn schon allein beim Anblick der Kaffeetasse meldete sich die Übelkeit zurück. Deshalb deckte er sie zu Assads Verblüffung mit einem Stück Papier ab.
»Ja, also das mit dieser Gitte Charles. Die hatte bei einem ihrer Jobs mit Geisteskranken zu tun, wie wir herausgefunden haben.«
Carl neigte den Kopf zur Seite. »Und?«, fragte er und hörte auf dem Gang das charakteristische Absatzklappern näher kommen.
Als Rose ins Büro stürmte, war ihr die Verblüffung ins Gesicht geschrieben. »Wir haben einen Zusammenhang zwischen Rita Nielsen und Gitte Charles gefunden, und zwar den hier.« Sie pflanzte einen Finger auf den Schwarz-Weiß-Ausdruck einer Landkarte.
Sprogø stand da.
14
August 1987
S ie saß regungslos auf der Bank und sah hinüber zu dem alten Weltkriegsbunker an der Korsgade. Der Junkie mit seinem hässlichen Mischlingsköter müsste jeden Moment vorbeikommen.
Der Hund hieß Satan, und sein Name war offenbar Programm. Gestern hatte diese Töle einen Cockerspaniel zu fassen bekommen, und nur das beherzte Eingreifen eines jungen Mannes mit soliden Clogs hatte das Tier dazu gebracht, loszulassen. Natürlich hatte der Junkie dem Mann gedroht, dass er ihn verprügeln und den Hund auf ihn hetzen würde, aber nichts dergleichen war geschehen. Zu viele Zuschauer hatten die Szene beobachtet, darunter auch Nete.
Nein, dieser Hund verdient es nicht, in der Stadt herumzustreunen, hatte sie gedacht und beschlossen, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen.
Sie hatte eine Fleischwurst mit einer gehörigen Portion Bilsenkrautextrakt vollgespritzt und vor dem alten Betonbunker platziert.
Die Wurst lag genau dort, wo der Köter immer herumschnupperte, ehe er das Bein hob. Bekam ein Hund wie dieser eine solche Mahlzeit ins Maul, würde ihn kein Mensch mehr retten können. Nete glaubte auch gar nicht, dass sein Herrchen Lust dazu verspüren würde, dem schien es immer völlig egal, woran sein Hund herumschnüffelte.
Sie musste nur wenige Minuten warten, schon kam der kläffende Köter, sein Herrchen hinter sich her zerrend, auf dem Peblinge Dossering in Sicht. Keine zehn Sekunden später hatte er die Wurst gewittert und verschlungen. Soweit sie sehen konnte, kaute er sie nicht einmal.
Als die zwei an ihr vorbeigingen, warf sie einen Blick auf ihre Armbanduhr und merkte sich die Zeit. Dann stand sie ruhig auf und hinkte hinter ihnen her.
Sie wusste, dass die große Runde um alle vier Seen für den Junkie zu viel war. Sie würden wohl nur den Peblinge-See umrunden und bei dem Tempo etwa eine Viertelstunde dafür brauchen. Aber so konzentriert, wie ihre Mixtur gewesen war, sollte das völlig ausreichen.
Schon auf der Dronning-Louises-Brücke schien der Hund die Richtung nicht mehr halten zu können. Jedenfalls musste der Junkie wiederholt an der Leine zerren, mit dem zweifelhaften Erfolg, dass der eigensinnige Hund den Kopf in immer andere Richtungen drehte.
Nachdem sie die Brücke überquert hatten, zog der Typ den Hund mit auf den Spazierweg unten am Wasser. Als beruhte dessen Verhalten ausschließlich auf Trotz, begann er, den Hund anzuschreien. Allerdings hörte er sofort
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