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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dame Koenig As Spion (Smiley Bd 5)
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Donnerstag abgelaufen wie jeder andere Tag, nur daß
irgendwann in den frühen Morgenstunden die Wunde in seinem Schulterknochen zu
nässen begonnen hatte, woran wohl der Wettlauf vom Mittwochnachmittag schuld
war. Er erwachte durch den Schmerz und durch den Luftzug über die feuchte
Stelle seines Rückens, wo die Wundabsonderung herabrann. Es war schon einmal
passiert, und damals war er mit dem Auto nach Taunton gefahren, aber die
Schwestern im Kreiskrankenhaus warfen nur einen Blick auf ihn, dann
verfrachteten sie ihn schleunigst in die Notstation, wo er auf Doktor Soundso
und eine Röntgenaufnahme warten sollte, und er schnappte sich seine Kleider
und verduftete. Er hatte genug von Ärzten und Krankenhäusern. Ob englische
oder sonstige, Jim hatte die Nase voll. Sie hatten gesagt, sie Wunde »zeichne
noch«.
    Er konnte
nicht an die Wunde heranreichen, um sie zu behandeln, aber seit dem letzten Mal
hatte er sich Dreiecke aus Scharpie zurechtgeschnitten und Bänder an die Ecken
genäht. Nachdem er sie sich auf dem Ablaufbrett bereitgelegt hatte, kochte er
Wasser, schüttete ein halbes Päckchen Salz hinein und verabreichte sich damit
eine improvisierte Dusche, wobei er sich so zusammenkauerte, daß der Strahl
seinen Rücken traf. Er tränkte die Scharpie mit einer Desinfektionslösung, warf
sie sich auf den Rücken, verschnürte die Bänder über der Brust und legte sich
bäuchlings auf sein Bett, einen Wodka in Reichweite. Der Schmerz ließ nach, und
Schläfrigkeit überkam ihn, aber er wußte, wenn er jetzt nachgab, würde er den
ganzen Tag schlafen; also nahm er die Wodkaflasche mit zum Fenster und setzte
sich an den Tisch und korrigierte die Französischhefte von V B, während die
Morgendämmerung des Donnerstags in die Senke glitt und die Saatkrähen in den
Ulmen zu lärmen begannen.
    Manchmal
war die Wunde für ihn eine Erinnerung, die er nicht verdrängen konnte. Er
beschwor Himmel und Hölle, um sie zu verdrängen und zu vergessen, aber der
Himmel oder die Hölle halfen auch nicht immer.
    Er ließ
sich Zeit mit dem Korrigieren, weil er es gern tat und weil diese Arbeit seine
Gedanken bei der Stange hielt. Zwischen halb sieben und sieben war er fertig;
er zog eine alte Flanellhose und ein Sportjackett an und schlenderte hinunter
zur Kirche, die nie abgeschlossen war. Eine Weile kniete er im Mittelgang der
Curtois-Kapelle, einer Familien-Gedenkstätte für die Toten zweier Kriege und
fast immer leer. Das Kreuz auf dem kleinen Altar hatten Pioniere bei Verdun
geschnitzt. Beim Knien tastete Jim vorsichtig unter dem Kirchenstuhl herum,
bis seine Fingerspitzen auf eine Reihe von Klebestreifen stießen, und über
diese Spur auf ein Etui aus kaltem Metall. Nachdem er seine Andacht verrichtet
hatte, preschte er die Combe Lane bis zur nebelumwallten Spitze des Hügels
hinauf, im Trab, um in Schweiß zu kommen, denn die Wärme tat ihm gut, solange
sie anhielt, und der Rhythmus dämpfte seine Überwachheit. Nach der schlaflosen
Nacht und dem Morgenwodka war er ein bißchen durchgedreht, und als er die
Ponys am Hang sah, die ihm ihre törischten Gesichter zuwandten, schrie er sie
an: »Trollt euch! Ihr blöden Viecher, glotzt mich nicht so an!« Dann stapfte er
die Landstraße entlang wieder zurück, trank Kaffee und wechselte seinen
Verband.
    Die erste
Unterrichtsstunde nach der Morgenandacht war Französisch in Klasse V B, und
hier wäre Jim um ein Haar der Gaul durchgegangen: brummte diesem Blödel
Clements, Sohn eines Tuchhändlers, eine Strafe auf und mußte sie am Ende der
Stunde rückgängig machen. Im Aufenthaltsraum brachte er eine weitere Routine
hinter sich, ähnlich der, die er in der Kirche praktiziert hatte: rasch, ohne
zu denken, kein Herumfummeln und raus. Es war eine ganz simple Prozedur, die
Post zu untersuchen, und es klappte. Er kannte keinen Profi, der das machte.
Aber Profis erzählen nicht alles. »Man muß es so sehen«, würde er gesagt haben,
»wenn die Gegenseite dich überwacht, dann überwacht sie bestimmt deine Post,
denn das ist die einfachste Form der Überwachung: und noch einfacher, wenn die
Gegenseite die eigene Seite ist und die Post mit ihr zusammenarbeitet. Was also
ist zu tun? Man schickt jede Woche, vom gleichen Briefkasten, zur gleichen
Zeit, in gleichem Abstand, einen Umschlag an sich selber und einen zweiten an
eine unbeteiligte Person mit der gleichen Adresse. Steckt irgend etwas hinein -
Wohltätigkeitskarten mit Weihnachtswunsch, Sonderangebot vom Supermarkt in der
Nähe -

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