Carre, John le
verklebt den Umschlag sorgfältig, wartet ab und vergleicht die Zeiten
des Eintreffens. Wenn der Brief an die eigene Adresse später ankommt als der
an die andere Person, dann ist jemand hinter einem her, in diesem Fall Toby.
Die beiden
Briefe kamen gleichzeitig an, aber Jim kam zu spät, um den Umschlag an
Majoribanks abzufangen, der als ahnungsloser Mitläufer an der Reihe war. So
steckte Jim seinen eigenen Brief in die Tasche und stieß hinter seinem Daily
Telegraph mißbilligende Töne aus, während Marjoribanks mit einem
wütenden »Hol euch der Teufel« eine gedruckte Einladung zur Mitgliedschaft bei
den Bibelforschern zerriß. Danach ließ er sich vom üblichen Tagesablauf
mittragen, bis zum Rugby-Match der Unterklassen gegen Saint-Ermin, zu dem er
als Schiedsrichter abgeordnet war. Es war ein schnelles Spiel, und als es zu
Ende war, meldete sein Rücken sich wieder, also trank er Wodka, bis es Zeit
fürs erste Läuten war. Er hatte versprochen, dies für den jungen Elwes zu
übernehmen. Warum er das versprochen hatte, wußte er nicht mehr, aber die
jüngeren Lehrer und besonders die verheirateten bedachten ihn gern mit allerlei
kleinen Nebenarbeiten, und er ließ es sich gefallen. Die Glocke war eine alte
Schiffsglocke, die Thursgoods Vater ausgegraben hatte und die jetzt zur
Tradition gehörte. Als Jim sie läutete, sah er, daß der kleine Bill Roach
direkt neben ihm stand und lächelte und um Aufmerksamkeit heischend zu ihm
hochblickte, wie er es jeden Tag ein dutzendmal tat. »Hallo Jumbo, wo brennt's
denn jetzt wieder?«
»Sir,
bitte, Sir.«
»Los,
Jumbo, raus mit der Sprache.«
»Sir, da
will jemand wissen, wo Sie wohnen, Sir«, sagte Roach. »Was für ein Jemand,
Jumbo? Los, ich beiß dich nicht, los, heh . . . heh! Was für ein Jemand? Mann?
Frau? Juju-Mann? He! Los, alter Freund«, sagte er sanft und kauerte sich neben
Roach nieder. »Kein Grund zum Heulen. Was ist los mit dir? Hast du Fieber?«
Er zog ein Taschentuch aus seinem Ärmel. »Was für ein Jemand?« wiederholte er
mit derselben leisen Stimme. »Er hat bei Mrs. McCullum gefragt. Er sagte, er
sei ein Freund. Dann hat er sich wieder in sein Auto gesetzt, es steht im Kirchhof,
Sir.« Ein neuer Tränenschwall. »Er sitzt einfach drinnen.«
»Schert
euch doch zum Teufel!« schrie Jim ein Grüppchen älterer Schüler an, die
grinsend unter der Tür standen. »Schert euch zum Teufel! Großer Freund?« Er
wandte sich wieder an Roach. »Langer Schlaks, Jumbo? Dicke Augenbrauen,
schlechte Haltung? Dünner Bursche? Bradbury. Komm mal her und hör auf zu
gaffen! Hilf Jumbo rauf zu Matron bringen. Dünner Bursche?« fragte er wieder in
gleichmütigem Ton.
Aber Roach
hatte es die Sprache verschlagen. Er hatte kein Gedächtnis mehr, keinen Sinn
mehr für Größe und Perspektive; sein Unterscheidungsvermögen in der Welt der
Erwachsenen war fort. Große Männer, kleine Männer, alte, junge, krumme, gerade,
sie waren nur noch ein Heer unerfindlicher Gefahren. Jims Frage mit Nein zu
beantworten, war mehr, als er ertragen konnte; mit einem Ja würde er die ganze
furchtbare Verantwortung für Jims Enttäuschung auf sich laden.
Er sah
Jims Augen auf sich gerichtet, sah, wie das Lächeln erlosch, und dann fühlte
er die rettende Berührung der großen Hand auf seinem Arm.
»Braver
Jumbo. Keiner hat je so gut beobachtet wie du, was?« Bill Roach legte den Kopf
verzagt auf Bradburys Schulter und schloß die Augen. Als er sie wieder öffnete,
sah er durch die Tränen, daß Jim schon halbwegs die Treppe hinauf war.
Jim war
ruhig, fast leicht zumute. Ganze vierzehn Tage lang hatte er gewußt, daß da
jemand war. Auch das gehörte zu seiner Routine; die Plätze beobachten, wo die
Beobachter ihre Fragen stellten. Die Kirche, wo über jeden Zu- und Weggang in
der Gemeinde unbefangen geredet wird; das Rathaus, das Verzeichnis der Wähler.
Geschäftsleute, falls sie die Kundenrechnungen aufhoben; Pubs, wenn die
Gejagten sie nicht aufsuchten. Er wußte, daß dies in England die natürlichen
Fallen waren, die die Observanten automatisch abklapperten, bevor sie über
einem zuschnappten. Und so war es denn auch. Als Jim vor zwei Wochen einen
netten Plausch mit einem Buchhändler hatte, stieß er auf die Spur, nach der er
suchte. Ein Fremder, offenbar aus London, hatte sich nach Wahlkreisen
erkundigt; ja, er war ein politischer Herr - nun, mehr so auf der Ebene
politischer Erhebungen, ein Professioneller, das konnte man sehen, und unter
anderem wollte er - man
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