Carre, John le
»Warten Sie in der Diele«, befahl Guillam, und Fawn
zog sich zurück; Smileys Mantel nahm er mit. »Was gesehen?« fragte Guillam und
stellte sich neben Smiley ans Fenster. Der Londoner Nachmittag hatte bereits
die verschleierten Rosa- und Gelbtöne des Abends angenommen. Der Platz war ein
typisch victorianisches Wohnviertel. In der Mitte ein umzäunter Garten, der
schon dunkel war. »Vermutlich nur ein Schatten«, sagte Smiley mit einem Knurren
und wandte sich wieder Esterhase zu. Die Kaminuhr klimperte vier Schläge. Fawn
mußte sie aufgezogen haben.
»Ich
möchte Ihnen gern eine These vortragen, Toby. Eine Theorie über das, was zur
Zeit vorgeht. Darf ich?« Esterhase zuckte nicht mit der Wimper. Die kleinen
Hände ruhten auf den hölzernen Armlehnen seines Sessels. Er saß ganz bequem
da, aber die Spitzen und Fersen seiner glänzend geputzten Schuhe waren wie in
Habacht-Stellung geschlossen.
»Sie
müssen überhaupt nicht sprechen. Zuhören ist doch kein Risiko, wie?«
»Möglich.«
»Gehen wir
achtzehn Monate zurück. Percy Alleline möchte Controls Job, hat aber im Circus
keinen guten Stand. Dafür hat Control gesorgt. Control ist krank und über die
erste Blüte hinaus, aber Percy kann ihn nicht ausbooten. Erinnern Sie sich,
wie es war?«
Esterhase
nickte kurz.
»Wie es so
ist in der toten Saison«, sagte Smiley mit seiner vernünftigen Stimme.
»Draußen gibt's nicht genügend zu tun, also fangen wir an, innerhalb der
Dienststelle zu intrigieren, einer spioniert gegen den anderen. Eines Morgens
sitzt Percy in seinem Büro und hat nichts zu tun. Auf dem Papier ist er zum
Einsatzleiter ernannt, aber in Wahrheit ist er höchstens ein Puffer zwischen
den regionalen Abteilungen und Control. Percys Tür geht auf, und jemand kommt
herein. Wir wollen ihn der Einfachheit halber Gerald nennen. >Percy<,
sagt er, >ich bin auf eine bedeutende russische Quelle gestoßen. Könnte eine
Goldmine sein.< Oder vielleicht sagt er gar nichts, bis sie das
Dienstgebäude verlassen haben, denn Gerald ist vorwiegend ein Außenmann, von
Wänden und Telefonen umgeben spricht er nicht gern. Vielleicht machen sie einen
Spaziergang im Park oder eine Autofahrt. Vielleicht gehen sie irgendwohin
essen, und in diesem Stadium kann Percy nicht viel mehr tun als zuhören. Percy
hatte wenig Erfahrung auf dem europäischen Sektor, noch viel weniger auf dem
tschechischen oder auf dem Balkan. Er hat sich seine Sporen in Südamerika
verdient und anschließend die früheren Kolonien bearbeitet: Indien, den
Vorderen Orient. Osteuropa ist für Percy fast ein Buch mit sieben Siegeln ...
Er weiß nicht viel über Russen oder Tschechen oder dergleichen, für ihn ist
rot ganz einfach rot und damit punktum. Unfair?«
Esterhase
schürzte die Lippen und runzelte leicht die Stirn, als wolle er sagen, daß er
niemals über einen Vorgesetzten urteile. »Gerald hingegen ist Fachmann auf
diesem Gebiet. Während seiner Einsatz-Zeit hat er sich ständig an den östlichen
Märkten herumgetrieben. Für Percy ist das Ganze Neuland, aber höchst
verlockend. Gerald steht auf vertrautem Boden. Diese russische Quelle, sagt
Gerald, könne die ergiebigste sein, die der Circus seit langem hatte. Gerald
möchte nicht zu viel sagen, aber er erwartet in den nächsten Tagen ein paar
Proben, und die solle Percy sich dann genau ansehen, um sich ein Bild von der
Qualität zu machen. Über die Quelle im einzelnen könnten sie später sprechen. >Aber
warum ich?< sagt Percy. >Worum geht es eigentlich ?< Gerald sagt es
ihm also. >Percy<, sagt er. >Ein paar von uns in den regionalen
Abteilungen sind schon ganz krank wegen der Höhe der Einsatzverluste. Ein böser
Geist scheint umzugehen. Es wird zuviel geschwatzt, innerhalb und außerhalb des
Circus. Zu viele Leute haben Einsicht in die Akten. Unsere Außenagenten werden
an die Wand gestellt, unsere Netze aufgerollt oder schlimmer, und jedes neue
Unternehmen endet als Verkehrsunfall. Sie sollen uns helfen, das wieder in
Ordnung zu bringen.< Gerald empört sich nicht, er vermeidet sorgfältig jede
Anspielung auf einen möglichen Verräter innerhalb des Circus, der sämtliche
Operationen auffliegen läßt, denn Sie und ich wissen, daß die ganze Maschinerie
zum Stillstand kommt, sobald ein solches Wort sich herumspricht. Jedenfalls,
das letzte, was Gerald sich wünscht, ist eine Hexenjagd. Aber er sagt immerhin,
daß die Dienststelle nicht ganz dicht sei und daß Schlamperei an der Spitze zu
Fehlschlägen auf den unteren Ebenen
Weitere Kostenlose Bücher