Carre, John le
findet man ein loses Brett.
Dahinter ist ein Hohlraum voller Abfall und Rattendreck. Ich sage Ihnen, es gab
ein reizendes Versteck ab, nicht zu überbieten.«
Eine kurze
Pause trat ein, im Raum schwebte das Bild von Ricki Tarr und seiner Moskauer
Liebsten, die Seite an Seite in der hintersten Bank einer Baptistenkirche in
Hongkong knieten. In diesem toten Briefkasten, sagte Tarr, fand er keinen
Brief, sondern ein ganzes verfluchtes Tagebuch. Die Handschrift war gut, und
jedes Blatt zweiseitig beschrieben, so daß häufig die schwarze Tinte
durchschlug. Es war in großer Eile geschrieben, ohne Verbesserungen. Er sah auf
den ersten Blick, daß sie es in ihren lichten Momenten geführt hatte.
»Das ist
natürlich nicht das Original. Das ist nur meine Kopie.« Seine lange Hand
schlüpfte unter sein Hemd und brachte eine Ledertasche an einem breiten Riemen
zum Vorschein. Er entnahm ihr ein schmuddeliges Päckchen Papier. »Ich nehme
an, sie hat das Tagebuch hineingelegt, kurz bevor es sie erwischt hat«, sagte
er. »Vielleicht hat sie bei dieser Gelegenheit noch ein letztes Gebet
gesprochen. Ich habe die Übersetzung selbstgemacht.«
»Ich wußte
nicht, daß Sie russisch sprechen«, sagte Smiley, nur für Tarr hörbar, der
plötzlich grinste.
»Ah,
heutzutage muß man in unserem Beruf auf Draht sein, Mr. Smiley«, erklärte er,
während er die Seiten aufschlug. »Als Jurist bin ich vielleicht kein großes
Licht, aber eine Fremdsprache kann entscheidend wichtig sein. Sie kennen
vermutlich den berühmten Ausspruch: >Man ist sovielmal ein Mensch, wie man
Sprachen spricht.< Stammt von einem großen Herrscher, Sir, von Karl dem
Fünften. Mein Vater vergaß nie ein Zitat, das muß ich ihm lassen, und das
Komische dabei ist, daß er außer Englisch kein Wort in einer anderen Sprache
konnte. Ich lese Ihnen das Tagebuch vor, wenn es Ihnen recht ist.«
»Er
versteht kein Wort Russisch«, sagte Guillam. »Sie haben die ganze Zeit englisch
gesprochen. Irina hat einen dreijährigen Englischkurs absolviert.«
Guillam blickte
zur Decke hoch, Lacon auf seine Hände. Nur Smiley behielt Tarr im Auge, der
lautlos über seinen Scherz lachte.
»Sind wir
so weit?« fragte er. »Also, dann fange ich an. >Thomas, hör mir zu, ich
spreche mit dir.< Sie nannte mich bei meinem Nachnamen«, erklärte er. »Hab'
ihr gesagt, ich hieße Tony, aber für sie war ich immer Thomas, ja? >Dieses
Tagebuch ist mein Abschiedsgeschenk, falls sie mich fortschleppen, ehe ich mit
Alleline sprechen kann. Ich möchte dir mein Leben schenken, Thomas, und
natürlich meinen Körper, aber es sieht so aus, als würde dieses armselige
Geheimnis alles sein, womit ich dich glücklich machen kann. Nutze es gut! <
« Tarr blickte auf. »Das ist mit Montag datiert. Sie hat das Tagebuch während
der vier Tage geführt.« Seine Stimme war ausdruckslos geworden, fast
gelangweilt. »>In der Zentrale von Moskau geht mehr Klatsch um, als unseren
Vorgesetzten lieb sein kann. Besonders die kleinen Würstchen machen sich gern
wichtig und tun, als wüßten sie Bescheid. Zwei Jahre vor meiner Versetzung zum
Handelsministerium habe ich nämlich in der Registratur unseres Hauptquartiers
am Dzerzhinsky-Platz gearbeitet. Die Arbeit war furchtbar langweilig. Thomas,
das Klima war unfreundlich, und ich war damals noch nicht verheiratet. Wir
wurden angehalten, einander zu mißtrauen, es ist so zermürbend, nie unbefangen
sprechen zu dürfen, niemals. Ich hatte einen Gehilfen namens Iwlow. Obwohl
Iwlow mir weder gesellschaftlich noch im Dienstrang gleichgestellt war, brachte
die bedrückende Atmosphäre eine Gleichgestimmtheit unserer Temperamente ans
Licht. Verzeih mir, manchmal kann nur der Körper für uns sprechen, du hättest
mir früher begegnen sollen, Thomas! Iwlow und ich machten mehrmals zusammen
Nachtschicht, und schließlich kamen wir sogar überein, uns entgegen den
Vorschriften außerhalb des Dienstgebäudes zu treffen. Er war blond, Thomas, wie
du, und ich begehrte ihn. Wir trafen uns in einem Cafe in einem armen
Stadtviertel von Moskau. In Rußland lehrt man, daß Moskau keine armen Stadtviertel
besitzt, aber das ist eine Lüge. Iwlow erzählte mir, sein wirklicher Name sei
Brod, aber er sei kein Jude. Er brachte mir Kaffee mit, den ihm ein Kamerad
schwarz aus Teheran geschickt hatte, er war sehr süß, auch Strümpfe. Iwlow
sagte, er bewundere mich sehr, und er habe einmal in einer Abteilung
gearbeitet, wo über sämtliche von der Zentrale beschäftigten
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