Carre, John le
Jahr neununddreißig kam,
holte ihn sich der Circus, der seit Jahren ein Auge auf ihn gehabt hatte. Der
Krieg war eine Glanzzeit für ihn. Er war überall zugleich und charmant; er war
unorthodox und zuweilen hemmungslos. Wahrscheinlich war er ein Held. Der
Vergleich mit Lawrence drängte sich auf. Es stimmte ferner, wie Smiley zugab,
daß Bill seinerzeit mit wichtigen historischen Problemen experimentiert hatte;
alle möglichen großartigen Pläne für ein Wiedererstarken Englands zu Einfluß
und Größe vorbrachte - wie Rupert Brooke sprach er selten von Großbritannien.
Doch selbst in seinen wenigen objektiven Augenblicken konnte Smiley sich kaum
an ein Projekt erinnern, das je vom Start gekommen wäre.
Für die
andere Seite von Haydons Charakter indessen vermochte Smiley als Kollege eher
Respekt aufzubringen: die Unbeirrbarkeit des geborenen Agentenführers, sein
hochentwickeltes Gefühl für das rechte Maß beim Zurückspielen von
Doppelagenten, und das Aufziehen von Ablenkungs-Operationen; seine Fähigkeit,
Zuneigung, sogar Liebe zu hegen, auch wenn sie anderen Bindungen zuwiderlief.
Als Zeuge
dafür ausgerechnet meine eigene Frau - besten Dank! Vielleicht ist Bill wirklich ein
Sonderfall, überlegte er bei seinem verzweifelten Bemühen, eine Norm zu finden.
Wenn er sich Bill jetzt vorstellte und ihn mit Bland, Esterhase und sogar
Alleline verglich, so schien es Smiley allen Ernstes, daß die anderen nur mehr
oder weniger unvollkommene Nachahmungen des Originals waren, Nachahmungen
Haydons. Daß ihre Posen nur Versuche waren, sich zum gleichen unerreichbaren
Ideal des perfekten Mannes hochzuschrauben, mochte die Vorstellung auch irrig
oder unzutreffend sein; mochte Bill ihrer auch im höchsten Maß unwürdig sein.
Bland und seine demonstrative Ungeschliffenheit, Esterhase und sein
künstliches super-englisches Gehabe,
Alleline
und sein unechter Führungsanspruch: ohne Bill waren sie Nullen. Smiley wußte
auch oder glaubte zu wissen - der Einfall kam ihm jetzt wie eine sanfte
Erleuchtung -, daß Bill dagegen für sich allein auch sehr wenig war: daß er,
während seine Bewunderer - Bland, Prideaux, Alleline, Esterhase und der ganze
übrige Supporter-Club - ihn für vollkommen hielten, in Wahrheit sie für sich
einspannte, Anleihen aus ihren passiven Persönlichkeiten machte, hier ein
Stück, dort ein Stück, und damit sein eigenes Ich abrundete: mit diesem Trick
die Tatsache verschleierte, daß er weniger, viel weniger war als die Summe
seiner scheinbaren Qualitäten . . . und schließlich seine Abhängigkeit von
ihnen hinter der Arroganz des Künstlers verbarg, der sie als Geschöpfe seines
Genius bezeichnete . . . » Jetzt reicht's aber«, sagte Smiley laut.
Er riß
sich abrupt aus seiner Meditation los, verscheuchte sie ärgerlich als eine
seiner vielen Theorien über Bill und kühlte sein überhitztes Denken durch die
Erinnerung an ihre letzte Begegnung.
»Sie
wollen mich vermutlich über den verdammten Merlin ausquetschen«, begann Bill.
Er wirkte müde und nervös; es war kurz vor seiner Abreise nach Washington. In
den alten Tagen hätte er ein unpassendes Mädchen mitgebracht und sie Anns Gesellschaft
überlassen, während er mit Smiley das Geschäftliche besprach; von Ann erwartete
er, daß sie dem Mädchen gegenüber sein Genie herausstrich, dachte Smiley
boshaft. Sie waren alle von der gleichen Sorte: Halb so alt wie er,
schmuddelige Bohemeweiber, mürrische Kletten; Ann sagte, er müsse einen Hoflieferanten
haben. Und einmal brachte er sogar einen gräßlichen Knaben namens Steggie an,
Hilfskellner aus einer der Kneipen in Chelsea, mit offenem Hemd und einem
Goldkettchen um den Magen.
»Es heißt
allgemein, Sie schreiben die Berichte«, erklärte Smiley. »Ich dachte, das sei
Blands Job«, sagte Bill mit seinem füchsischen Grinsen.
»Roy macht
die Übersetzungen«, sagte Smiley. »Sie verfassen die kommentierenden Berichte;
sie sind auf Ihrer Maschine geschrieben. Das Material darf Stenotypistinnen
nicht zugänglich gemacht werden.«
Bill hörte
aufmerksam zu, er hatte die Brauen hochgezogen, als könne er jeden Augenblick
unterbrechen oder zu einem passenderen Thema übergehen, dann hievte er sich
aus dem tiefen Sessel und schlenderte zum Bücherregal, wo er um ein ganzes Fach
höher hinauf reichte als Smiley. Mit den langen Fingern fischte er einen Band
heraus, schlug ihn auf, grinste.
»Percy
Alleline ist nicht gut genug«, verkündete er und blätterte um. »Ist das
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