Carre, John le
»Ja, die Frau war natürlich Irina, nicht wahr? Der
eine war Iwlow und der andere war Boris, ihr Mann, nehme ich an.« Seine Stimme
war ganz sachlich geblieben. »Tarr darf es nicht erfahren«, fuhr er energischer
fort, als schüttelte er seine Müdigkeit ab. »Es ist wichtig, daß er nichts
davon ahnt. Gott weiß, was er tun oder nicht tun würde, wenn er wüßte, daß
Irina tot ist.« Eine Weile blieben beide regungslos sitzen, vielleicht fehlte
beiden, wenn auch aus verschiedenen Gründen, die Kraft oder der Mut.
»Ich
sollte telefonieren«, sagte Smiley, machte aber keinerlei Versuch,
auszusteigen. »George?«
»Ich muß
telefonieren«, murmelte er. »An Lacon.«
»Dann
telefonieren Sie doch.« Guillam langte über ihn hinweg und öffnete die Tür.
Smiley
kletterte aus dem Wagen, marschierte ein Stück über den geteerten Platz, dann
schien er es sich anders überlegt zu haben und kam zurück.
»Kommen
Sie, wir essen etwas«, rief er im gleichen zerstreuten Tonfall durchs Fenster.
»Ich glaube, nicht einmal Tobys Leute würden uns hierher folgen.«
Es war
früher ein Restaurant gewesen und jetzt ein Fernfahrer-
Cafe mit
Resten vergangener Pracht. Die Speisekarte war in rotes Leder gebunden und
voller Fettflecke. Der Junge, der sie brachte, schlief beinahe.
»Coq au
vin soll angeblich eine sichere Sache sein«, sagte Smiley voll
Galgenhumor, als er aus der Telefonzelle in der Ecke zurückkam. Und mit
ruhigerer Stimme, die nicht weit trug und kein Echo auslöste: »Sagen Sie,
wieviel wissen Sie über Karla?«
»Ungefähr
soviel, wie ich über Witchcraft und die
Quelle Merlin und all das weiß, was sonst noch auf dem Papier stand, das ich
für Porteous unterzeichnet habe.«
»Aha, das
ist zufällig eine ausgezeichnete Antwort. Sie war vermutlich als Vorwurf
gedacht, aber zufällig war die Analogie äußerst treffend.« Der Junge erschien
wieder, er schwang eine Flasche Burgunder wie eine Gymnastikkeule. »Lassen Sie
sie bitte ein bißchen zu Atem kommen.« Der Junge starrte Smiley an wie einen
Irren. »Machen Sie sie auf, und lassen Sie sie auf dem Tisch stehen«, sagte
Guillam kurz.
Smiley
erzählte nicht die ganze Geschichte. Später stellte Guillam verschiedene
Lücken fest. Aber es genügte, um seine Lebensgeister aus den Niederungen zu
befreien, in denen sie sich verfangen hatten.
Bei karger
Kost berichtet George Smiley von seinem Versuch, Mr. Gerstmann das Leben zu
retten
»Es gehört
zum Beruf der Agentenführer, daß sie sich selber in Legenden verwandeln«,
begann Smiley, fast als hielte er einen Vortrag vor Kursteilnehmern in der Nursery. »Sie tun
dies zunächst, um ihre Agenten zu beeindrucken. Später probieren sie es bei
ihren Kollegen und machen sich damit, nach meiner persönlichen Erfahrung, nur
lächerlich. Manche gehen sogar so weit, daß sie es selber glauben. Das sind die
Scharlatane, man muß sie so schnell wie möglich abstoßen, eine andere
Möglichkeit gibt es nicht.« Dennoch, Legenden wurden geschaffen, und eine von
ihnen war Karla. Sogar sein Alter war ein Geheimnis. Höchstwahrscheinlich war
Karla nicht sein richtiger Name. Jahrzehnte seines Lebens lagen völlig im
dunkeln und würden es wohl auch immer bleiben, denn die Leute, mit denen er
arbeitete, hatten die Eigenheit, plötzlich zu sterben oder wie Gräber zu
schweigen. »Es heißt, sein Vater sei in der O chrana gewesen
und später in der Tscheka aufgetaucht. Das mag stimmen, aber
ich glaube es nicht. Andere Quellen wollen wissen, daß er als Küchenjunge in
einem Panzerzug gegen die japanischen Besatzungstruppen im Osten gearbeitet
habe. Angeblich hat er seine Technik von Berg gelernt - soll genau gesagt sein
Lieblingsjünger gewesen sein -, was ungefähr so ist, als studierte ein junger
Musiker bei.. ach, nehmen Sie irgendeinen großen Komponisten. Für mich begann
seine Karriere im Jahr sechsunddreißig in Spanien, denn dafür haben wir
Beweise. Er trat damals als weißrussischer Journalist bei den Franco-Leuten auf
und rekrutierte eine Mannschaft deutscher Agenten. Es war eine höchst
schwierige Operation und bemerkenswert für einen so jungen Mann. Dann begegnen
wir ihm wieder bei der sowjetischen Gegenoffensive auf Smolensk im Herbst
einundvierzig, als Abwehroffizier unter Konew. Er hatte die Aufgabe,
Partisanennetze hinter den deutschen Linien zu führen. Bei dieser Gelegenheit
entdeckte er, daß sein Funker umgedreht worden war und Botschaften an den
Feind funkte. Er drehte ihn wieder zurück und
Weitere Kostenlose Bücher