Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eine Art Held (Smiley Bd 6)
Vom Netzwerk:
Kommunistische Partei, natürlich.«
    Als Doris »O Daddy« in ihr Strickzeug flüsterte, übersetzte Connie hastig. »Was hat Nelson
studiert, Mr. Hibbert, und wo?«
    »Ah, Disziplin. Diese Art Disziplin!« Mr. Hibbert verfiel wieder in
seinen nüchternen Stil.
    Er kannte die Antwort genau. Worüber hätten er und Nelson in ihren
Englischstunden sonst sprechen können - abgesehen vom kommunistischen
Evangelium, fragte er -, als über Nelsons Zukunftspläne? Nelsons Leidenschaft
war der Ingenieurberuf. Nelson war überzeugt, daß die Technologie, nicht die
Bibel, China aus dem Feudalismus führen könnte.
    »Schiffsbau, Straßen, Eisenbahnen, Fabriken: das war Nelson. Der
Erzengel Gabriel mit Rechenschieber, weißem Kragen und einem akademischen Grad.
Das war er, nach seiner Vorstellung.« Mr. Hibbert blieb nicht lange genug in Schanghai, um
Nelson diesen Glückszustand erreichen zu sehen, sagte er, denn Nelson machte
sein Abschlußexamen erst im Jahr einundfünfzig -. di Salis' Feder kratzte wild
über die Seiten des Notizbuchs.
    » Aber Drake, der sich sechs Jahre lang für ihn abgerackert hatte«,
sagte Mr.  Hibbert - über Doris' neuerliche Bezugnahme auf die Triaden hinweg
-, »Drake hielt durch, und er sah sich belohnt, genau wie Nelson. Er sah, wie
dieses lebenswichtige Stück Papier in Nelsons Hand gelegt wurde, und er wußte,
daß seine Arbeit jetzt getan war und er seiner eigenen Wege gehen konnte, wie
er es immer geplant hatte.«
    di Salis wurde vor Erregung ausgesprochen hemmungslos. In seinem
häßlichen Gesicht waren noch mehr Farbflecke aufgesprungen, und er rutschte
verzweifelt auf seinem Stuhl herum. »Und nach dem Examen - was kam dann?« drängte er. »Was tat er? Was wurde aus ihm? Erzählen Sie bitte weiter. Bitte, erzählen Sie weiter.«
    Mr.  Hibbert lächelte amüsiert über soviel Enthusiasmus. Also, sagte
er, laut Drake habe Nelson sich zunächst als Zeichner in der Schiffswerft
verdingt, an Blaupausen und Bauplänen gearbeitet und wie verrückt alles
gelernt, was er den russischen Technikern abgucken konnte, die seit Maos Sieg
ins Land strömten. Dann wurde Nelson, im Jahr dreiundfünfzig, wenn Mr.  Hibbert
sich richtig erinnerte, die Auszeichnung einer weiteren Studiengenehmigung an
der Universität Leningrad in Rußland zuteil, und er blieb dort, bis, nun, auf
jeden Fall bis Ende der fünfziger Jahre. »Oh, er war glücklich wie ein Hund mit
zwei Schwänzen, unser Drake, wenn man ihn hörte.« Mr.  Hibbert hätte nicht
stolzer aussehen können, wenn er von seinem eigenen Sohn gesprochen hätte.
    di Salis beugte sich plötzlich vor und ging sogar so weit, trotz
Connies mahnender Blicke, mit seinem Stift auf den alten Mann zu deuten: »Und
nach Leningrad, was haben sie dann mit ihm gemacht?«
    »Wieso? Er kam natürlich zurück nach Schanghai«, sagte Mr.  Hibbert
lachend. »Und er wurde befördert, klar, nach diesem langen Studium, war jetzt ein
angesehener Mann: Schiffsbauer, Ausbildung in Rußland, Technologe, Manager:
Ach, er war ganz begeistert von den Russen! Besonders nach Korea. Sie hatten
Maschinen, Macht, Ideen, Philosophie. Rußland war sein Gelobtes Land. Er
blickte zu ihm auf, wie . . . « Seine Stimme und sein Eifer erstarben
gleichzeitig. »Ach ja«, murmelte er und schwieg, zum zweitenmal, seit sie ihm
zuhörten, seiner selbst unsicher geworden. »Trotzdem, es konnte nicht ewig
dauern, wie? Rußland bewundern: wie lange war das modern in Maos Neuem Wunderland?
Doris, Kind, hol mir einen Schal.«
    »Du trägst ihn schon«, sagte Doris.
    di Salis bohrte rücksichtslos, mit schriller Stimme weiter. Nichts
interessierte ihn mehr, außer den Antworten. Auch das Notizbuch nicht, das
aufgeschlagen auf seinen Knien lag: »Er kam zurück«, piepste er. »Sehr schön.
Er brachte es zu etwas. Er war in Rußland ausgebildet, nach Rußland hin
orientiert. Sehr schön. Was kommt dann?«
    Mr. Hibbert sah di Salis lange an. Ohne Arglist in Gesicht und Augen.
Er sah ihn an, wie ihn vielleicht ein kluges Kind angesehen hätte, ohne
hemmende Spitzfindigkeit. Und es wurde plötzlich klar, daß Mr. Hibbert di Salis
nicht mehr traute, ja, daß er ihn nicht mochte.
    »Er ist tot, junger Mann«, sagte er endlich und starrte wieder hinaus
aufs Meer. Im Zimmer war es jetzt fast dunkel, das meiste Licht kam vom
Gasfeuer. Der graue Strand war leer. Auf dem Weidenzaun thronte eine einzelne
Möwe, schwarz und groß vor den letzten Streifen des Abendhimmels. »Aber Sie
sagten, er habe noch immer

Weitere Kostenlose Bücher