Carre, John le
einträglichen.
Ich erkläre Ihnen das ganze Geschäft.«
»Klar«, sagte Ricardo abwesend und beugte sich weiter über die Karte.
»Wir legen ihn rein. Klar tun wir das.« So also haben die beiden zusammen
gelebt, dachte Jerry: mit einem Fuß im Märchenland und mit dem anderen im
Knast, so haben sie sich gegenseitig in ihre Phantastereien hineingesteigert,
eine Dreigroschenoper mit drei Darstellern. Danach gab Ricardo sich liebevoll
seinen Sünden hin, und Jerry hatte keine Möglichkeit, ihn zum Schweigen zu
bringen. In Ricardos schlichter Welt mußte man über sich selber sprechen, wenn
man den anderen besser kennenlernen wollte. Also sprach er von seiner großen
Seele, seiner großen sexuellen Potenz und seiner Besorgnis um deren Erhaltung,
aber am meisten sprach er von den Greueln des Krieges, ein Thema, das er kannte
wie niemand sonst: »In Vietnam verliebe ich mich in ein Mädchen, Voltaire. Ich,
Ricardo, ich verliebe mich. Das ist für mich sehr selten und sehr heilig.
Schwarzes Haar, gerader Rücken, Gesicht wie eine Madonna, kleine Brüste. Jeden
Morgen halte ich den Jeep an, wenn sie zur Schule geht, jeden Morgen sagt sie
>nein<. >Hör zu<, sage ich zu ihr. »Ricardo ist kein Amerikaner. Er
ist Mexikaner.« Sie hat von Mexiko noch nicht mal gehört. Ich werde verrückt,
Voltaire. Wochenlang lebe ich, Ricardo, wie ein Mönch. Die anderen Mädchen faß
ich nicht mehr an. Jeden Morgen, dann, eines Tages, hab' ich schon den ersten
Gang drinnen, da wirft sie den Arm hoch - stopp! Sie steigt zu mir ein. Sie
verläßt die Schule, zieht in ein kampong, später einmal sag ich Ihnen den Namen. Die B 52er kommen und machen das Dorf dem Erdboden gleich. Irgendein Held kann
nicht gut Landkarten lesen. Die kleinen Dörfer sind wie Steine am Strand, eines
wie das andere. Ich bin im Hubschrauber dahinter. Nichts kann mich aufhalten.
Charlie Marshall sitzt neben mir und brüllt mich an, daß ich verrückt bin. Ich
hör nicht auf ihn. Ich gehe runter, lande, ich finde sie. Das ganze Dorf tot.
Ich finde sie. Sie ist auch tot, aber ich finde sie. Ich fliege zur Basis
zurück, die Militärpolizei schlägt mich zusammen, ich kriege sieben Wochen
Dicken, werde degradiert. Ich, Ricardo.«
»Sie Ärmster«, sagte Jerry, der diese Spielchen schon öfter gespielt
hatte und sie haßte: Er glaubte ihnen oder glaubte ihnen nicht, aber er haßte
sie immer.
»Sie haben recht«, sagte Ricardo und quittierte Jerrys Würdigung mit
einer Verbeugung. »Arm ist das richtige Wort. Wir werden wie Bauern behandelt.
Ich und Charlie, wir fliegen alles. Wir sind nie ordentlich entlohnt worden.
Verwundete, Tote, Zerstückelte, Stoff. Gratis. Herrje, in diesem Krieg wurde
was geschossen! Zweimal fliege ich in die Provinz Yünnan. Ich bin furchtlos.
Völlig. Obwohl ich so gut aussehe, habe ich keine Angst um mich.«
»Wenn man den Flug für Drake mitzählt«, erinnerte Jerry ihn, »dann
wären Sie dreimal drüben gewesen, stimmt's?«
»Ich bilde Piloten aus für die kambodschanische Luftwaffe. Gratis. Die
kambodschanische Luftwaffe, Voltaire! Achtzehn Generale, vierundfünfzig
Maschinen - und Ricardo. Am Ende der Dienstzeit kriegt man die
Lebensversicherung, damit hat sich's. Hunderttausend US. Nur man selber. Wenn
Ricardo stirbt, kriegen seine nächsten Angehörigen nichts, so ist das. Wenn
Ricardo es schafft, kriegt er das Ganze. Ich spreche einmal mit Freunden von
der französischen Fremdenlegion, sie kennen den Schwindel, sie warnen mich.
>Gib acht, Ricardo. Bald schicken sie dich wohin, wo's so heiß hergeht, daß
du nicht mehr rauskommst. Dann müssen sie dir nichts zahlen.« Die Kambodschaner
verlangen von mir, daß ich mit der Hälfte Sprit fliege. Ich habe
Tragflächentanks und sage nein. Ein anderes Mal blockieren sie mir die
Hydraulik. Ich warte meine Maschine selber. Auf diese Art bringen sie mich
nicht um. Hören Sie, ich schnalze mit den Fingern und Lizzie kommt zu mir
zurück. Okay?« Der Lunch war beendet.
»Wie war das also mit Tiu und Drake?« sagte Jerry. Beim Beichtehören,
sagen sie in Sarratt, hat man weiter nichts zu tun, als ein bißchen den Strom
zu lenken.
Zum erstenmal, so schien es Jerry, starrte Ricardo ihn mit der ganzen
Intensität seiner tierischen Dumpfheit an. »Sie bringen mich durcheinander,
Voltaire. Wenn ich Ihnen zu viel erzähle, muß ich Sie erschießen. Ich bin ein
sehr mitteilsamer Mensch, verstehen Sie? Ich bin einsam hier draußen, es liegt
in meiner Art, daß ich immer einsam bin. Ich mag einen
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