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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eine Art Held (Smiley Bd 6)
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Mittel, Sam. Ich kann kaum die Münder füttern, die ich bis jetzt
engagiert habe.«
    Sam
schlürfte gedankenvoll seinen schwarzen Kaffee und lächelte durch den Dampf.
    »Wer ist
sie, Sam? Was hat's damit auf sich. Niemand wird sich darüber aufregen, und
wenn's noch so schlimm ist. Vergessen und vergeben.«
    Sam stand
auf, schob die Hände in die Taschen, schüttelte den Kopf und fing an, ähnlich
wie Jerry Westerby es gemacht hätte, im Zimmer umherzuwandern und die
deprimierenden Relikte zu betrachten, die an den Wänden herumhingen:
Gruppenfotos von Oxfordleuten in Uniform, aus der Kriegszeit; ein gerahmter
handgeschriebener Brief eines toten Premierministers und wiederum Karlas
Porträt, das er ganz in der Nähe studierte, lange Zeit hindurch.
    »> Wirf
niemals deine Chips weg<«, bemerkte er so dicht vor Karla, daß sein Atem das
Glas beschlug. »Das hat meine alte Mutter mir ständig eingetrichtert. >Verschleudere
niemals deine Trümpfe. Wir bekommen nur sehr wenige im Leben. Mußt sie sparsam
herausrücken.< Nicht als ob das Spiel nicht rollte, wie?« erkundigte er
sich. Mit dem Ärmel wischte er das Glas ab. »In Ihrem Haus hier herrscht ein
gesunder Appetit. Hab' ich sofort gespürt, als ich reinkam. Der große Tisch,
sagte ich mir. Fällt für Klein Sammy auch was ab.«
    Er war
wieder bei Smileys Schreibtisch angelangt und setzte sich auf den Stuhl, als
wolle er ausprobieren, ob er bequem sei. Der Stuhl war nicht nur drehbar, er
schaukelte auch. Sam probierte beide Bewegungen aus. »Ich brauche eine
Suchanforderung«, sagte er.
    »In
Ordnung«, sagte Smiley und beobachtete Sam, während er die Schublade aufzog,
ein gelbes Formular herauszog und es auf die gläserne Schreibplatte legte.
    Ein paar
Minuten lang war Sam wortlos mit dem Ausfüllen beschäftigt, hielt, von Zeit zu
Zeit zwecks künstlerischer Überlegung inne und schrieb wieder weiter.
    »Rufen Sie
mich an, wenn sie auftaucht«, sagte er, winkte Karla scherzhaft zu und empfahl
sich.
    Als er
fort war, nahm Smiley das Formblatt vom Schreibtisch, ließ  Guillam kommen und
händigte es ihm wortlos aus. Auf der Treppe machte Guillam halt, um den Text zu
lesen. »Worthington Elizabeth alias Lizzie, alias Ricardo Lizzie.« Das war die
erste Zeile. Dann die Einzelheiten: »Alter etwa siebenundzwanzig.
Staatsangehörigkeit britisch. Familienstand verheiratet, Näheres über den
Ehemann nicht bekannt, Mädchenname gleichfalls nicht bekannt. 1972/73 Ehe nach
dem Common Law mit Ricardo Tiny, inzwischen verstorben. Letzter bekannter
Wohnort Vientiane, Laos. Letzte bekannte Beschäftigung: Empfangssekretärin bei
Indocharter, Vientiane S. A. Frühere Beschäftigungen: Nachtclub-Hostess,
Whiskyvertreterin, Edelnutte.« Zur Ausübung ihrer wie immer glanzlosen Rolle
benötigte die Registratur in jenen Tagen ungefähr drei Minuten, um zu bedauern:
»Keine Hinweise wiederholen keine Hinweise auf Zielperson.« Darüber hinaus
griff die Bienenkönigin den Ausdruck »edel« auf. Sie bestand darauf, »bessere«
sei die korrekte Bezeichnung für eine solche Nutte.
    Seltsamerweise
ließ Smiley sich durch Sams Widerspenstigkeit nicht stören. Er schien sie
klaglos als wesentlichen Bestandteil des Metiers hinzunehmen. Hingegen forderte
er Kopien aller Quellenberichte an, die Sam während der letzten rund zehn
Jahre aus Vientiane oder anderswo beigebracht hatte und die Haydons geschicktem
Messer entgangen waren. Und dann begann er sie in seinen Mußestunden, soweit
vorhanden, durchzuackern und gestattete seiner rastlosen Phantasie, sich Bilder
von Sams privater trüber Welt zu machen.
    In diesem
Stadium, als die ganze Sache in der Schwebe hing, bewies Smiley höchst
lobenswertes Taktgefühl, wie später alle zugaben. Ein geringerer Mann wäre vielleicht
zu den Vettern hinübergestürmt und hätte als eine Sache von höchster Dringlichkeit
verlangt, daß Martello die amerikanische Seite des vernichteten
Schriftwechsels heraussuche und ihm Einblick gewähre, aber Smiley wollte nichts
aufrühren, nichts andeuten. Also wählte er statt dessen seinen bescheidensten
Boten. Molly Meakin war eine artige hübsche junge Dame mit Hochschulexamen,
vielleicht ein bißchen blaustrümpfig, ein bißchen vergeistigt, aber sie hatte
sich bereits einen bescheidenen Namen als fähige Kraft gemacht und war dem
Circus von Vaters- und Brudersseite seit langem verbunden. Zur Zeit des
Sündenfalls war sie noch auf Probe angestellt und verdiente sich ihre Sporen in
der Registratur. Danach wurde

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