Carre, John le -Ein Mord erster Klasse (Smiley Bd 2)
Kirchendienst wird jetzt von einem beauftragten
Pfarrer von der Abtei versehen. Das Pfarrhaus ist noch im Verleihungsrecht der
Schule, und ich war so glücklich, es zu bekommen. Gute Nacht. Sie müssen zu
einem Sherry kommen, ehe Sie abreisen. Bleiben Sie länger?«
»Ich
bezweifle es«, erwiderte Smiley, »aber ich bin sicher, Sie haben im Augenblick
auch genug Sorgen.«
»Was
meinen Sie damit?« fragte D'Arcy scharf.
»Die
Presse, die Polizei und der ganze damit verbundene Wirbel.«
»Ach so.
Ganz richtig! Dennoch, unser Gemeinschaftsleben muß fortgesetzt werden. Wir
haben immer eine kleine Party in der Semestermitte, und ich habe das Gefühl,
daß es besonders wichtig ist, sie auch diesmal abzuhalten. Ich werde Ihnen
morgen eine Einladung ins Hotel schicken. Meine Schwester würde sich freuen.
Gute Nacht!« Er warf klirrend das Tor zu, und das Geräusch erregte irgendwo
hinter dem Haus wildes Hundegebell. Ein Fenster öffnete sich, und eine harte
weibliche Stimme rief:
»Bist du
das, Felix?«
»Ja,
Dorothy.«
»Warum
mußt du einen so verdammten Radau machen? Du hast schon wieder die Hunde
geweckt.« Das Fenster schloß sich mit einem Knall, und D'Arcy verschwand, ohne
auch nur einen Blick in Smileys Richtung zu werfen, schnell im Schatten des
Hauses.
Smiley
trat wieder auf die Straße und ging zur Stadt zurück. Nach etwa zehn Minuten
blieb er stehen und sah noch einmal zum Haus der Rodes hinüber, etwa hundert
Meter jenseits der Sportplätze. Es lag im Schatten eines kleinen
Fichtengehölzes; dunkel und verschwiegen hob es sich gegen die weißen Felder
ab. Ein schmaler Weg führte zum Haus, in einer Ecke war eine Briefkastensäule
aus Backstein; und ein kleiner eichener Wegweiser, ganz neu, wies die Allee
hinunter, die, wie er schloß, nach Pylle führen mußte. Die Inschrift auf dem
Wegweiser war durch eine Schneeschicht verdeckt, und Smiley wischte sie mit
der Hand weg, so daß er die Worte »North Fields« lesen konnte; sie waren in
einer gekünstelten, provinziellen gotischen Schrift gehalten, die D'Arcy
erhebliches Unbehagen bereitet haben mußte. Der Schnee in der Allee war ohne
Fußspuren; offenbar war kürzlich mehr gefallen. Zwischen Carne und Pylle konnte
es nicht viel Verkehr geben. Rasch die Hauptstraße auf und ab blickend, begann
Smiley die Allee hinunterzugehen. Auf beiden Seiten stand die Hecke hoch, und
bald konnte er nur noch den blassen Himmel über sich und die wuchernden
Weidengerten sehen, die sich ihm entgegenstreckten. Einmal glaubte er, Schritte
dicht hinter sich zu hören, aber als er stehenblieb, hörte er nichts als das
verstohlene Rieseln der schneebeladenen Hecken. Er empfand die Kälte stärker:
sie schien in dem unbeweglichen Dunst der tiefliegenden Straße zu hängen und
ihn wie die eisige Luft eines leeren Hauses zu fassen und zu halten. Dann wich
die Hecke zu seiner Linken einer schütteren Baumreihe, die nach Smileys Urteil
zu dem Gehölz gehörte, das er von der Straße aus gesehen hatte. Der Schnee
unter den Bäumen lag ungleichmäßig, und der nackte Boden sah plötzlich häßlich
und zerrissen aus. Die Allee führte ihn in einer allmählichen Krümmung nach links,
und urplötzlich stand das Haus vor ihm, unheimlich und schroff im Mondlicht.
Die Mauern waren aus Backstein und Flint, halb verdunkelt von dem Efeu, der es
üppig überwucherte und in einer verfilzten Mähne über das Tor fiel.
Er blickte
zum Garten. Das Gehölz, das die Allee säumte, griff fast bis zur Ecke des
Hauses über und erstreckte sich bis zum entfernten Rasenende, das Haus von den
Sportplätzen abschirmend. Der Mörder hatte das Haus auf einem Pfad erreicht,
der über den Rasen und zwischen den Bäumen zur Allee am entferntesten
Gartenende führte. Als Smiley sorgfältig den Schnee auf dem Rasen betrachtete,
konnte er den Verlauf des Pfades erkennen. Die weiße Glastür zur Linken des
Hauses mußte zum Wintergarten führen ... Und plötzlich wußte er, daß er Angst
hatte - Angst vor dem Haus, vor dem wuchernden dunklen Garten. Diese Erkenntnis
überkam ihn wie das Bewußtsein eines Schmerzes. Die Efeumauern schienen sich
vorzuneigen und ihn zu halten, wie eine alte Frau, die ein widerstrebendes Kind
liebkost. Das Haus war groß und doch schäbig, in den jähen Gegensätzen des
Mondlichtes hielt es unheimliche Gebilde, schwarz und ölig, in sich fest. Trotz
seiner Angst fasziniert, bewegte er sich darauf zu. Die Schatten zerfielen und
formten sich wieder, schossen flink davon und blieben
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