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Caruso singt nicht mehr

Titel: Caruso singt nicht mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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Eigenschaften.
    »Rena?« fragte sie nach einer Weile, die ihr wie eine Ewigkeit vorkam. Rena antwortete nicht.
    »Rena, wir müssen reden.«
    Rena antwortete nicht.
    Anne seufzte. »Die Polizei hat heute schon nach dir gefragt.« Kosinski hatte vor einer halben Stunde angerufen und sich mit kaum gebremster Ungeduld nach dem Stand der Dinge erkundigt.
    »Laß sie doch«, kam es trotzig unter der Bettdecke hervor, unter die sich Rena wieder verkrochen hatte. Die Zugbrücke war für heute hochgezogen, stellte Anne resigniert fest, sammelte das Frühstückstablett ein und ging.
    Zehn Minuten später bebte das Haus. Rena hatte ihre Musikanlage voll aufgedreht. Anne stöhnte auf. Gerade heute hätte sie gern auf diese Art von Musik verzichten. Aber Rena wollte sich offenbar die Erinnerung an Alexander mit Gewalt aus dem Hirn blasen. Jeder hat da so seine eigenen Methoden, versuchte Anne sich zu beschwichtigen. Sie würde ihrer Tochter den Krach verzeihen müssen.
    Anne ging in die Küche, um die Geschirrspülmaschine auszuräumen, die Futternäpfe der Tiere zu säubern und die Teigmischung für das Brot anzusetzen, das sie heute backen wollte. Das alles waren Tätigkeiten, die das Gemüt unendlich zu beruhigen vermochten. Jedenfalls ihres. Anne ließ das Geschirr klappern, das Wasser rauschen und den Mixer aufheulen. Aber gegen die Musik aus Renas Zimmer hatte sie keine Chance. Plötzlich brach der Lärm über ihr ab. Anne erschrak fast über die Stille, die sich jetzt ausbreitete. Als ob alles die Luft anhielt.
    »Du wirst doch nichts sagen?«
    Anne zuckte zusammen. Die weiche, einschmeichelnde Männerstimme vibrierte durchs ganze Haus.
    »Du wirst mich doch nicht verraten, hmmm?«
    Sie kannte die Stimme. Sie wußte, wer das war. Sie kam nur nicht drauf.
    »Sag was. Nun sag schon was.« Die Stimme war ungeduldig, ja quengelig geworden. Anne hielt den Atem an. Niemand antwortete. Alles blieb still. Eine unheimliche Stille kroch plötzlich durchs Haus, eine elektrisierte, eine aufgeladene Stille. Eine laute Stille.
    »Ganz wie die Mutter. Ganz wie die Mutter.« Die Stimme, die in die Stille platzte, war leiser geworden, kalt, scharf. Anne riß die Küchentür auf und raste die Treppe hoch.
    »Sie hat auch nicht zu ihrem Mann gestanden!« schallte es ihr entgegen. Alexanders Stimme klang hart, böse. Und ein bißchen – durchgeknallt, dachte Anne.
    »Verräterin!«
    Anne riß die Tür zu Renas Zimmer auf. Das Mädchen hockte tränenüberströmt auf dem Boden vor ihrer Musikanlage. In der rechten Hand hielt sie ein rechteckiges Kästchen – Anne registrierte erst beim zweiten Hinsehen, daß sie den kleinen Kassettenrecorder umklammert hielt, den Walkman, den Anne ihr zu ihrem achtzehnten Geburtstag geschenkt hatte. Die Stille, die ihnen aus der Musikanlage entgegenrauschte, war zum Schneiden. Anne zuckte zusammen, als Rena hart auf die Stopptaste des Kassettenwiedergabegerätes in ihrer Musikanlage drückte. Sie sah noch die verzweifelte Wut auf dem Gesicht ihrer Tochter, bevor sie sich geistesgegenwärtig zur Seite duckte. Aber Rena hatte nicht auf sie gezielt. Sie hatte mit aller Wucht den kleinen schwarzen Walkman an die Wand geworfen, auf die das Gerät mit häßlichem Knirschen aufprallte, bevor seine Einzelteile auf den Boden fielen.
    »Du hast auch nicht hinter Leo gestanden!« schrie sie ihre Mutter unter Schluchzen an. Anne war mit wenigen Schritten bei ihr, nahm sie in den Arm und ließ auch nicht los, als das Mädchen ihr die Fäuste auf den Rücken schlug.
    »Du hast auch nicht hinter Leo gestanden!«
    »Nein«, sagte Anne geistesgegenwärtig. »Aber du – du hast hinter Alexander gestanden …« Sie ließ den Satz offen. Man hätte ihn auch als Frage verstehen können.
    »Nein!« Rena schrie wie ein gequältes Tier. »Nein!«
    Es dauerte lange, bis Anne halbwegs zu verstehen glaubte, was sich gestern abend abgespielt hatte, als sie eingesperrt in der Kühlkammer hockte. Alexander hatte offenbar auch Rena eingeschlossen.
    »Er war wie verrückt«, schluchzte Rena. »Er hat wirres Zeug erzählt. Er war – gefährlich.« Wieder weinte das Mädchen hemmungslos. Anne strich ihr ratlos über den Rücken. »Er hat –« Rena schluckte. »Ich hab den Sony auf Aufnahme geschaltet, als er da draußen vor der Tür stand und auf mich eingeredet hat.« Das war, dachte Anne, verdammt geistesgegenwärtig gewesen. »Und einfach nicht mehr geantwortet.« Sie schluchzte wieder. »Er hat mich Verräterin

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