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Cash

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Titel: Cash Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Price
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und wieder wagte sich einer vor, um sie aufzunehmen; das einsame Klicken, das Video-Sirren waren zu laut in dieser zaghaften Straße.
    Wie die meisten vermutete Matty, dass es sich um die Mutter handelte, nur wie sie hergekommen war oder wer sie benachrichtigt hatte, war ihm ein Rätsel, da nicht mal der Vater des Jungen eine Ahnung hatte, wo sie sich aufhielt, in welchem Land, auf welchem Kontinent. Sie war Mitte vierzig, trug eine Seidenbluse und einen schwarzen Rock und hatte die lässige Figur einer jungen Sportlerin, ihr Gesicht jedoch, aufgedunsen und verwittert, verriet, soweit er sehen konnte, ihr Alter. Matty wappnete sich, dann trat er von hinten an sie heran.
    »Hat er irgendwas gesagt?«, fragte sie ihn, ohne sich umzudrehen, ohne irgendwelche einleitenden Worte.
    »Wie bitte?«
    »Was war das Letzte, was er gesagt hat.« Sie hatte einen Akzent, den er nicht einordnen konnte.
    »Daran arbeiten wir noch.« Er hob an, sein Beileid auszusprechen, und hielt sich dann zurück; sie würde ihn ohnehin nicht hören.
    »Wo hat er gestanden. Wo genau«, fragte sie leise und drehte sich schließlich zu ihm um. Sie hatte splittrig blaue Augen wie gesprungenes Kristall.
    Matty betrachtete nachdenklich das getrocknete Blut, die Frau folgte seinem Blick und stieß urplötzlich ein Heulen aus, das wie eine Flöte klang, ein musikalisches Schluchzen.
    »Dummkopf.« Brüsk wischte sie sich die Augen, als würde sie sich schlagen.
    Matty konnte sich nicht an ihren Namen erinnern, weder Vor-, noch Nachnamen.
    »Ist jemand hier für Sie?«, fragte er. »Jemand? Was meinen Sie mit jemand?«
    «Familie.«
    »Ja.« Sie deutete auf das Blut, ohne es noch einmal anzusehen. »Sie sollten sich jetzt hier nicht aufhalten«, sagte er.
    »Elena?«
    Beide drehten sich um. Billy Marcus stolperte auf den Tatort zu, als handelte es sich um eine Ziellinie. Als sie ihn erblickte, flammte ihr Gesicht auf vor Zorn, und kurz dachte Matty, sie würde auf ihn losgehen. Marcus ging es offenbar ähnlich, er blieb stehen und schloss flüchtig die Augen, als wollte er sich wappnen, doch dann fing sie an zu weinen, und er schlang, zunächst scheu, dann entschlossener, die Arme um sie und fiel in ihr Schluchzen ein, gefundenes Fressen für die Fotografen, bis Matty sie davonscheuchte.
    »Schon gut«, sagte Marcus, legte den Arm um seine Exfrau und führte sie vom Tatort weg. Beide sahen Jahrzehnte älter aus, als sie waren.
    Bobby Oh kam aus dem Haus, fing Mattys Blick auf und zuckte bedauernd die Schultern: keine Waffe.
     
    Als der Gefangenentransport nach anderthalb Stunden endlich kam, kehrten Yolonda und Matty in den Vernehmungsraum zurück, wo Eric erneut aufstand und seine Handgelenke hinstreckte.
    »Eigentlich«, murmelte Matty, drehte ihn an den Schultern herum und legte ihm die Handschellen so an, dass seine gekrümmten Hände im Kreuz ruhten.
    »Hm«, sagte Eric, »in Binghamton haben die das vorne gemacht.«
     
    Die Tür zu Billy Marcus' Hotelzimmer im Landsman war offen, aber auf Mattys Klopfen kam keine Reaktion, also trat er mit einem zaghaften Rufen ein. Es war, als würde er eine Höhle betreten, denn die Vorhänge waren rundherum vorgezogen, um die Sonne auszublenden.
    Das Erste, was Matty in dieser Düsternis auffiel, war der Geruch: alkoholgetränkter Schweiß und darunter eine Spur von etwas Alkaloidem. Das Zweite, als sich seine Augen auf die Dämmerung einstellten, war das Doppelbett mit der großen polarweißen Kunstfaserdecke, geknäuelt und geballt, und den zerwühlten oder ganz auf den Boden geworfenen Kissen und Laken.
    Das Dritte war die Stille: eine derart vollkommene Stille, dass er zunächst annahm, allein zu sein, bis ihn ein kurzes Wispern von Seidenstrümpfen in die eine und ein Schnauben in die andere dunkle Ecke lenkte.
    »Darf ich?« Matty zog nur so viel von einem Vorhang beiseite, dass der Wunsch nach Dunkelheit gewahrt blieb. Sie saßen in zwei Ecken des Zimmers, die Mutter in einem Plastiksessel, der Vater auf der Heizung. Ihre Kleidung war zerknautscht, Elena trug nur einen Schuh, Marcus war barfuß, beide starrten ihn mit der Selbstvergessenheit von Tieren an, mit unbewegtem, benebeltem Schock. Auf dem Fußboden herrschte ähnliches Durcheinander, von verstreutem Gepäck und einem Wirrwarr aus blind zusammengerafften Habseligkeiten: Kleidung, Pantoffeln, Pillenfläschchen und ein Reisebügeleisen, eine Literflasche Herbal-Essences-Conditioner und ein halber Liter Babyöl, das sich langsam über den Teppich

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