Casteel-Saga 02 - Schwarzer Engel
diesem Zeitpunkt hatte ich keine Ahnung von ihr, er hielt sie völlig geheim vor mir. Als er mir schließlich erzählte, er würde Jillian heiraten, drehte er es so, daß es aussah, als ob er’s nur täte, damit ich eine neue, liebevolle Mutter bekäme. Und eine Schwester dazu. Ich war aufgeregt und zornig zugleich. Mit drei Jahren kann ein Kind die einzige Person in seinem Leben, die sich um es kümmert, als persönliches Eigentum betrachten. Ich war eifersüchtig. Lachend hat er mir später erzählt, daß ich regelrechte Wutanfälle produzierte, denn ich wollte nicht, daß Tony Jillian heiratete – besonders nicht, nachdem sie mir begegnet war. Ich lag krank im Bett, und er dachte, ein so zerbrechlicher, liebenswürdiger kleiner Junge, der sie wirklich brauchte, würde Jillian rühren. Er sah nicht, was ich sah. Kinder scheinen die Gedanken von Erwachsenen besonders gut lesen zu können. Ich wußte, sie war über die Vorstellung, sich um mich kümmern zu sollen, entsetzt… und trotzdem brachte sie ihre Scheidung hinter sich, heiratete Tony und zog mit ihrer zwölfjährigen Tochter in Farthy ein. Ganz schwach kann ich mich an die Hochzeit erinnern, keine Einzelheiten, nur Eindrücke.
Ich war unglücklich, und deine Mutter ebenso. Ich habe andere Erinnerungen, wie Leigh versuchte, mir eine Schwester zu sein, einen Großteil ihrer Freizeit an meinem Bett verbrachte und versuchte, mich bei Laune zu halten. Wie dem auch sei, was sich mir am tiefsten eingeprägt hat, war, daß Jillian ganz offensichtlich gegen jeden Moment war, den Tony mir widmete und nicht ihr.«
Eine ganze Stunde sprach er und mir wurde alles klar: Die Einsamkeit eines kleinen Jungen und eines jungen Mädchens, die von Umständen, die außer ihrer Kontrolle lagen, zusammengeworfen worden waren. So hatten sie allmählich einander immer mehr gebraucht, und dann passierte eines Tages etwas Furchtbares, das er nie verstand. Die neue Schwester, die er langsam geliebt hatte, lief fort.
»Tony war in Europa, als Leigh von hier fortrannte. Als Antwort auf Jillians verzweifelte Anrufe kam er zurückgeflogen. Ich wußte, sie beauftragten Detektivagenturen, sie zu finden, aber Leigh war wie vom Erdboden verschwunden. Beide erwarteten, daß sie in Texas, wo ihre Großmutter und Tanten lebten, auftauchen würde, aber Leigh tauchte nie auf. Jillian weinte die ganze Zeit, jetzt weiß ich, daß ihr Tony Vorwürfe wegen des Verschwindens deiner Mutter machte. Ich wußte, daß Leigh gestorben war, lange bevor du mit deinen Neuigkeiten hierherkamst. Ich wußte es bereits an dem Tag, an dem es geschah, denn mir träumte davon; du hast nur noch die Wahrheit meines Traums bestätigt. Meine Träume werden immer wahr.
Nachdem Leigh weggegangen war, erkrankte ich an rheumatischem Fieber und war fast zwei Jahre ans Bett gefesselt. Tony verlangte von Jillian, ihre gesellschaftlichen Aktivitäten aufzugeben und ihre ganze Zeit meiner Pflege zu widmen, obwohl ich ein englisches Kindermädchen namens Bertie hatte, das ich anbetete. Mir wäre es zehnmal lieber gewesen, wenn man mich mit Bertie alleingelassen hätte als mit Jillian. Jillian machte mir Angst mit ihren langen Fingernägeln und ihren raschen, unbedachten Bewegungen. Ich spürte ihre Ungeduld mit einem kleinen Jungen, der einfach nicht gesund bleiben konnte.
›Keinen einzigen Tag meines Lebens bin ich krank gewesen‹, pflegte sie zu mir zu sagen. Das war der Beginn meiner fixen Idee, ich sei tatsächlich ein mißratenes, unpassendes Kind, das anderer Leute Leben verdarb. Und ab dann begannen die Träume. Manchmal waren sie wunderbar, aber viel öfter waren es grauenvolle Alpträume, die mich dazu brachten, zu glauben, ich würde nie wirklich glücklich sein, nie richtig gesund, und würde auch nichts von alldem je haben, was anderen so leicht zufliegt – normale Dinge, die jeder im Laufe seines Lebens erwartet: Freunde zu besitzen, sich zu verlieben und lange genug zu leben, um die eigenen Kinder heranwachsen zu sehen. Ich fing an, von meinem eigenen Tod zu träumen – mein eigener Tod als junger Mann. Während ich älter wurde und mit der Schule anfing, zog ich mich von allen zurück, die sich mit mir anzufreunden versuchten. Ich hatte Angst davor, schließlich verletzt zu werden, wenn ich mich selbst zu verwundbar machte. Einsam und andersartig hörte ich meinen eigenen Trommler, lauschte meiner persönlichen Musik und widmete mich ganz meinem einsamen Kurs durchs Leben, bis es endlich vorbei wäre. Ich
Weitere Kostenlose Bücher