Casteel-Saga 04 - Nacht über Eden
kompetente Leute zu bekommen. Im Geschäft geht es mir genauso. Ich stelle nämlich auch immer wieder Leute ein, mußt du wissen.« Er unterbrach sich und starrte mich einen Moment lang an. Dann lächelte er. »Du siehst tatsächlich verändert aus, viel lebendiger und kräftiger. Du sagtest vorher ja auch, daß du Fortschritte gemacht hast, nicht wahr?«
»Ja, ich bin aufgestanden… ohne Hilfe!« rief ich aus.
»Wann?« Er sah mich skeptisch an.
»Gestern abend. Aber der Arzt und Tony sagen mir immer nur, ich solle mich nicht überanstrengen. Ö Drake, ich habe keine Lust, mich weiter zu schonen! Ich freue mich so darauf, nach Winnerrow zurückzukehren!«
Er nickte nachdenklich, wobei er mich mit schmalen Augen musterte, so wie Tony es oft tat.
»Ich bin mir sicher, Annie, was auch immer sie dir sagen, sie wollen nur dein Bestes.«
»Aber das ist doch widersinnig«, beharrte ich. »Ich weiß, daß ich stehen kann. Und ich sollte mit diesem Gehapparat üben«, fügte ich hinzu und deutete auf das Gerät in der Ecke.
Er zuckte die Achseln.
»Wahrscheinlich soll man ihn erst in einer bestimmten Phase der Erholung einsetzen… weil er sonst vielleicht mehr schadet als er nutzt. Ich weiß es nicht, Annie. Ich studiere nicht Medizin.«
»Luke schon«, sagte ich. Drake zuckte zusammen, als hätte ich ihn geschlagen. »Ich wünschte, er wäre hier. Ich verstehe einfach nicht, warum er nicht kommt«, fuhr ich nachdenklich fort und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Ich habe ihm mehrere Nachrichten hinterlassen«, meinte Drake zögernd.
»Bestimmt hat er sie nicht bekommen.«
»Keine einzige?«
»Es sieht ihm einfach nicht ähnlich, daß er so lange nichts von sich hören läßt«, sagte ich.
»Die Menschen verändern sich, wenn sie aufs College überwechseln. Ich glaube, ich habe dir das schon erklärt.«
»Luke nicht«, beharrte ich. »Drake, liegt dir etwas an mir? Liegt dir wirklich etwas an mir?«
»Natürlich. Wie kannst du so etwas fragen?«
»Dann möchte ich, daß du mich zur Treppe schiebst. Ich werde mit dem Aufzug hinunterfahren, und du wirst mich zum nächsten Telefon schieben. Ich möchte Luke jetzt selbst anrufen. Tony hat mir versprochen, daß er ein Telefon in mein Zimmer legen lassen würde, aber er hat es immer noch nicht getan. Und allmählich zweifle ich daran, daß er wirklich versucht hat, Luke zu erreichen.«
»Warum? Wenn er doch gesagt hat, daß er es versuchen wird… und wenn er versprochen hat, dir ein Telefon ins Zimmer legen zu lassen – «
»Nein, nein, er vergißt oft, was er gesagt oder versprochen hat. Glaube mir, ich kenne ihn besser als Du, Drake. Ich glaube, Tony ist ein wenig senil, und es wird jeden Tag schlimmer.«
»Was? Also, ich arbeite ständig mit ihm zusammen und – «
»Glaub mir, manchmal bringt er alles durcheinander… wenn er über meine Mutter, meine Großmutter und meine Urgroßmutter spricht. Er scheint dann zu glauben, daß sie noch leben… Mittlerweile tut es mir leid, daß ich ihm zuliebe dem Friseur erlaubt habe, mein Haar zu färben. Das hat ihn noch mehr verwirrt.« Jetzt, da ich es Drake erzählte, erschien mir alles noch viel besorgniserregender.
Er lächelte und schüttelte den Kopf. »Annie, du bist es, die ein wenig… verwirrt klingt.«
»Nein, Drake. Hier gehen so sonderbare Dinge vor sich… Er hat in Mammis und Daddys Zimmer alles unverändert gelassen, als… als wohnten sie noch dort. Sogar Rye Whiskey glaubt, daß hier unheimliche Dinge vor sich gehen. Natürlich, er erzählt von Gespenstern, die durch die Flure wandern, aber er weiß auch so einiges… Er möchte, daß ich von hier weggehe!« rief ich aus. Während ich sprach, empfand ich tiefes Mitleid für Tony. Ich versuchte zu verstehen, warum er so geworden war und sich so sonderbar verhielt. Aber während ich jetzt das alles beim Namen nannte, wurde mir klar, daß ich mir eher Sorgen um mich selbst machen sollte. Möglicherweise war ich im Haus eines Mannes gefangen, der nicht nur ab und zu die Vergangenheit mit der Gegenwart verwechselte, sondern wirklich verrückt war.
»Rye will, daß du gehst?« Drake schüttelte den Kopf. »Noch einer, der verwirrt ist.«
»Und Tony bewahrt Jillians Zimmer wie ein Museum«, redete ich weiter. Verzweifelt wünschte ich, Drake möge meine Sorgen verstehen. »Er läßt niemanden sonst hinein. Es ist… unheimlich. Du hättest ihn vorhin sehen sollen, als er mich anschrie, er würde keinem meiner hinterwäldlerischen Verwandten
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