Casteel-Saga 05 - Dunkle Umarmung
Gemälde fertiggestellt hatte, fragte ich mich, wozu er mich noch brauchte.
»Jetzt beginnen wir mit der dreidimensionalen Arbeit«, erklärte er. »Ich brauche dich mehr denn je.«
Er stellte die Gemälde auf einer Reihe von Staffeleien auf, um sie immer ansehen zu können, und dann machte er sich an die – wie er versprach – letzten Stadien des künstlerischen Schaffensprozesses.
Ich verstand nicht, was er meinte, bis er mit seiner Arbeit begann. Dann fing alles wieder von vorn an. Diese ersten Male, als er meinen Körper berührt hatte, um seine Intuition als Maler anzuregen, waren nichts im Vergleich zu dem, was er jetzt tat. Nachdem er seine Arbeit mit dem Ton begonnen hatte, schien es, als unterbräche er sie alle fünf bis zehn Minuten, um zu mir zu kommen und mich abzutasten oder, wie er es nannte, »mich künstlerisch zu erfassen«.
Er hielt meinen Kopf in seinen Händen und stand da, die Augen geschlossen, den Kopf zurückgelegt, und dann lief er wieder an seine Werkbank, um den Ton zu formen. Er fuhr die Konturen meines Gesichtes mit seinen Fingern nach, ließ sie über meinen Ohren verweilen und preßte die Fingerspitzen sacht auf meine geschlossenen Lider. Wenn ich ihm dabei aber ins Gesicht sah, entdeckte ich dort eine Intensität und Konzentration, die mich erstaunten und erschreckten, denn sein Gesicht war gerötet, und seine Augen waren weit aufgerissen.
Die Gestalt der Puppe begann, sich auf die Weise aus dem Tonberg auf dem Tisch zu erheben, wie er den Aufstieg der Venus aus den Wellen beschrieben hatte. Ich beobachtete, wie sie Gestalt annahm. Nachdem er mit meinen Schultern fertig war, kam er auf mich zu, um meine vorstehenden Schlüsselbeine abzutasten, und seine Finger glitten zart über meinen Körper. Er mußte sich jeden Zentimeter meines Körpers noch einmal einprägen, ehe er dem Ton die entsprechenden Umrisse geben konnte.
Als er an meinen Brüsten angekommen war, nahm ich eine steife Haltung an. Er stand vor mir und hatte die Augen wieder geschlossen.
»Ganz ruhig«, flüsterte er. »Es klappt ausgezeichnet. Meine Finger tragen dich von hier, wo du stehst, zu der Skulptur hinüber und erschaffen dich dort aus dem Ton, genau, wie ich es gehofft hatte.«
Er legte seine Hände auf meinen Busen, fuhr mit seinen Fingern die Umrisse nach und ließ seine Hände länger denn je auf mir liegen. Ich konnte nichts dagegen tun, daß ich wieder anfing zu zittern. Endlich nahm er seine Hände von mir und kehrte wieder zu seiner Plastik zurück. So ging es immer weiter, jedesmal nach demselben Schema. Und jedesmal, wenn er sich meinem Körper wieder zuwandte, hatte ich das Gefühl, in einem Teich aus weichem warmen Lehm zu versinken, und nicht, daraus aufzuerstehen.
Gegen Ende unserer Sitzung kniete er vor mir und fuhr mir über den Bauch und ließ seine Handflächen immer wieder über meine Oberschenkel gleiten, und er streichelte mich, als sei ich aus Ton und er gäbe mir eine neue Gestalt. Ich wollte Einwände erheben, fragen, was er da tat, und all dem ein Ende setzen, doch ich fürchtete, daß alles, was ich hätte tun können, den Vorgang nur in die Länge gezogen hätte. Deshalb blieb ich mit geschlossenen Augen stehen und ließ alles über mich ergehen.
Endlich sagte er, ich könne mich anziehen.
»Ich möchte noch ein paar letzte Feinheiten anbringen, und dann genügt es für heute«, verkündete er.
Nachdem ich mich angezogen hatte, betrachtete ich die Skulptur. Genau wie auf den Zeichnungen war eine große Ähnlichkeit mit meinem Gesicht zu erkennen, aber die Puppe hatte eher die Figur meiner Mutter.
»In den nächsten Tagen mußt du nicht hier sein«, meinte er und wandte seinen Blick von mir ab. »Die Feinheiten kann ich nach meinen Skizzen gestalten, und dann brauche ich dich für eine allerletzte Sitzung, um mich noch einmal zu vergewissern, daß alles richtig ist. Einverstanden?« Sein durchdringender Blick fiel kurz auf mein Gesicht und löste sich dann sofort wieder von mir.
Ich nickte. Ich war angespannt, verkrampft und erschöpft. Außerdem war ich verwirrt und hin- und hergerissen zwischen einem Verlangen nach etwas, was ich nicht in Worte fassen konnte, und dem Drang, aus diesem Häuschen zu verschwinden und nie mehr wiederzukommen.
Tony hatte recht gehabt, als er gesagt hatte, ich würde es schnell lernen, mich durch den Irrgarten zu bewegen. Jetzt rannte ich durch die grünen Gänge, bog von einem in den anderen ein, und als ich am anderen Ende des Irrgartens
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