Castello Di Felici - Schloss Des Gluecks
interessierst.“
Nur bei dir, dachte sie in einem Anfall von Fatalismus. Das stimmte nur teilweise, und es bestand kein Grund, sich oder ihm etwas vorzumachen.
„Zwischenmenschliche Beziehungen und Verhaltensweisen haben mich schon immer interessiert“, gestand sie. „Meine Mutter war Archäologin, und nach meiner Ansicht geht das in eine ähnliche Richtung. Was sie bei ihren Ausgrabungen entdeckte, gab ihr Aufschlüsse über das Leben früherer Kulturen. Aber im Gegensatz zu ihr befasse ich mich lieber mit der Gegenwart als mit der Vergangenheit.“
Sie biss sich auf die Lippe – war sie zu direkt gewesen? Mit angehaltenem Atem wartete sie auf eine scharfe Bemerkung. Aber die kam nicht, Leo bedachte sie lediglich mit einem seiner unergründlichen Blicke.
„Das ist das erste Mal, dass du deine Mutter erwähnst“, sagte er nach einer Weile.
„Sie … sie starb, als ich noch ein Baby war. Ich habe sie nicht kennengelernt.“ Bevor sie weitersprach, legte sie den Kopf in den Nacken und hielt ihr Gesicht der Sonne entgegen. „Mein Vater hat sie so gut wie nie erwähnt. Ich glaube, es schmerzte ihn zu sehr. Erst, als er wusste, dass es mit ihm zu Ende ging, sprach er von ihr, und dann konnte er über nichts anderes mehr reden.“ Nachdenklich betrachtete sie ihre staubigen Zehen. Barfuß gehen erinnerte sie immer an die sorgenfreien Jahre ihrer Kindheit.
Einträchtig setzten sie ihren Weg fort. Inzwischen hatten sie die Talsohle erreicht, wo sich der Pfad zwischen langen Reihen von Weinstöcken hinzog, bevor er auf der anderen Seite wieder anstieg. Im Stillen wünschte sie, er würde nie enden.
Nach einer Weile nahm sie den Gesprächsfaden wieder auf. „In Toronto …“, sie stockte, als sie Leos ironischem Blick begegnete, „… habe ich vor allem ihretwegen das Diplom abgeschlossen, weil sie es so gewollt hätte. Und Dad auch“, fügte sie hinzu.
„Das spricht für dich“, erwiderte er sanft. „Ich weiß, wie viel dir deine Eltern bedeutet haben.“
Bethany runzelte die Stirn. Was wusste er schon von ihren Gefühlen für ihre Eltern? Er hatte nie nach ihnen gefragt, und sie hatte das Thema deshalb auch nie angeschnitten. „Das stimmt“, entgegnete sie kurz. „Ich bin sicher, dir geht es ebenso.“
Leo schwieg, dann lachte er kurz. „Bei mir lagen die Dinge etwas anders. Mein Vater war kein besonders liebenswerter Mensch. Du würdest ihn vermutlich einen Tyrann nennen, und damit hättest du nicht unrecht. Er war ein absoluter Herrscher, der keinen Widerspruch duldete, nicht von seinen Untergebenen, nicht von meiner Mutter und schon gar nicht von mir. Für ihn war der Begriff Toleranz ein Fremdwort.“
„Leo …“
„Ich kam mit vier Jahren auf ein Internat in Österreich. Die Lehrer waren streng, aber nicht kalt. Dort lernte ich von klein auf, dass niemand und nichts größere Bedeutung hat als unser Geschlecht, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der di Marcos. Und natürlich, was ich ihnen schulde.“ Er sah sie an, und der Ausdruck in seinen Augen war ebenso verwirrend wie die Empfindungen, die auf sie einstürmten. „Die Unmöglichkeit, selbst über sich zu bestimmen, bringt eine gewisse Freiheit mit sich, das gestehe ich allerdings.“
„Das … das hört sich schrecklich an.“ Bethany unterdrückte die aufsteigenden Tränen. „Ich bin zwar ohne Mutter aufgewachsen – sie starb an Krebs –, aber mein Vater war immer für mich da. An seiner Liebe habe ich nie gezweifelt.“
„Ich wurde dazu erzogen, Gefühlen keine Bedeutung beizumessen.“ Etwas Undefinierbares flackerte in Leos Blick und erlosch gleich wieder.
Was in ihm vorgehen musste, war ihr nur allzu bekannt – wie oft hatte sie wegen seiner Gefühlskälte das Gleiche durchgemacht! Einen Moment schnürte es ihr die Kehle zu, dann atmete sie tief ein. „Ich vermute, in deiner Familie gab es andere Prioritäten als in meiner“, erwiderte sie neutral.
„Das ist richtig. Pflichterfüllung und Standesbewusstsein standen an erster Stelle; sich dagegen aufzulehnen, war eine Todsünde und obendrein völlig nutzlos.“ Er schwieg, und als er weitersprach, klang es wie eine Aufzählung. „Man wahrt Haltung, in jeder Situation. Selbst als Kind handelt man stets mit Bedacht. Man vergisst nie seine Herkunft und wozu sie verpflichtet. Eigene Wünsche sind belanglos.“ Leo hob die Schultern. „Wenn ich das einmal vergaß, war stets jemand zur Hand, um mich daran zu erinnern. Allen voran mein Vater, und seine
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