Catch 22
Yossarián in der Stimmung war, nahm er abends Schwester Duckett und zwei Decken an den Strand und liebte sich halb angezogen mit ihr. Das war dann schöner, als es mit all den quicklebendigen, nackten, sündigen Mädchen in Rom gewesen war. Sehr oft verbrachten sie den Abend friedlich am Strand und lagen, vor Kälte bibbernd, aneinander gepreßt unter den Decken, um die feuchte Kühle abzuwehren. Die tintenschwarzen Nächte wurden kälter, und weniger Sterne blickten frostiger vom Himmel. Das Badefloß schwankte in der 'geisterhaften Bahn des Mondlichtes und schien davonzusegeln. Kaltes Wetter lag in der Luft. Die anderen begannen jetzt damit, Öfen herzustellen, und erschienen tagsüber bei Yossarián im Zelt, um Orrs Kunstprodukt zu bestaunen. Schwester Duckett war hingerissen, weil Yossarián, wenn sie zusammen waren, die Hände nicht von ihr lassen konnte. Sie gestattete ihm aber nicht, seine Finger bei Tageslicht in den unteren Teil ihres Badeanzuges zu stecken, wenn jemand in der Nähe war und zusehen konnte, nicht einmal, wenn der einzige Zeuge Schwester Gramer war, die mit abschätzig erhobener Nase auf ihrer Seite der Düne saß und so tat, als sähe sie nichts.
Seit Schwester Duckett sich mit Yossarián verbunden hatte, sprach Schwester Gramer, ihre beste Freundin, kein Wort mehr mit ihr, doch ging sie überall hin, wo Schwester Duckett hinging, weil Schwester Duckett ihre beste Freundin war. Sie schätzte weder Yossarián noch dessen Freunde. Standen alle auf und gingen zusammen mit Schwester Duckett ins Wasser, dann erhob sich auch Schwester Gramer und ging ins Wasser, wo sie ebenfalls zehn Schritte Abstand hielt und auch ihr Schweigen bewahrte, ihre Mitmenschen also auch noch beim Baden schnitt.
Lachten und plantschten die anderen, dann lachte und plantschte auch Schwester Gramer, und machten die anderen einen Kopfsprung, dann sprang auch Schwester Gramer. Schwammen die anderen zur Sandbank und ruhten sich dort aus, dann schwamm auch Schwester Gramer zur Sandbank und ruhte sich dort aus.
Sie verließ zugleich mit den anderen das Wasser, trocknete sich mit dem eigenen Handtuch ab und setzte sich abweisend auf ihren eigenen Platz, machte den Rücken steif und trug einen Heiligenschein von reflektiertem Sonnenlicht um ihren Blondkopf.
Schwester Gramer war bereit, die Beziehungen wieder aufzunehmen, sobald Schwester Duckett sich entschuldigte und bereute.
Schwester Duckett bevorzugte jedoch den augenblicklichen Zustand. Sie hatte sich nämlich schon lange gewünscht, Schwester Gramer mal so recht eins überzubraten.
Schwester Duckett fand Yossarián wundervoll und war bereits dabei, einen anderen Menschen aus ihm zu machen. Sie liebte es, ihm zuzusehen, wenn er, das Gesicht nach unten und einen Arm auf sie gelegt, ein kurzes Schläfchen hielt oder wenn er trübe auf die unzähligen, zahmen Wellen starrte, die wie kleine Schoßhunde auf den Strand gelaufen kamen, sich etliche Male überkugelten und dann zurücktrotteten. Sein Schweigen beunruhigte sie nicht. Sie wußte, daß sie ihn nicht langweilte, und wenn er döste oder grübelte und die Ungewisse Nachmittagsruhe über den Strand hauchte, polierte sie hingegeben ihre Fingernägel. Sie liebte es sehr, seinen breiten, langen, sehnigen Rücken mit der bronzefarbenen, reinen Haut zu betrachten. Sie liebte es, ihn von einem Augenblick zum nächsten zu entflammen, indem sie sein Ohr in den Mund nahm und ihm unerwartet mit der Hand von oben nach unten über den Körper strich. Sie liebte es, ihn bis zum Abend brennen und leiden zu sehen und ihn dann zu befriedigen. Und ihn dann anbetend dafür zu küssen, daß sie ihm solche Wonne gespendet hatte.
Yossarián fühlte sich mit Schwester Duckett nie einsam, denn sie verstand es wirklich, den Mund zu halten und besaß gerade das unbedingt erforderliche Maß von Kapriziertheit. Der endlose, ungeheuerliche Ozean quälte und verfolgte ihn. Während Schwester Duckett ihre Fingernägel polierte, gedachte er kummervoll all der vielen Menschen, die unter Wasser gestorben waren. Es mußten doch gewiß schon mehr als eine Million sein. Wo waren sie? Welche Kleintierchen hatten ihr Fleisch verzehrt? Er stellte sich die grauenhafte Hilflosigkeit beim Einatmen großer Mengen Wasser vor. Yossarián betrachtete die kleinen Fischerboote und die Marinebarkassen, die in der Ferne hin und her fuhren, und er fand, sie seien unwirklich; es konnte nicht wahr sein, daß sie lebensgroße Männer an Bord hatten, die jedesmal einem
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