Change
Körper.
Ruckartig stand ich auf, sprang fast aus dem breiten Bett, flüchtete geradeaus ins schwarze Nichts. Wie eine Decke aus feinstem Satin fing es mich ein, machte mich unsichtbar, sicher. Nur der verwirrte und verletzte Blick Mikes, der mir hinterher sah, verletzte mich auf undefinierbare Weise. Meine Haut sehnte sich nach seiner Wärme.
Das Gefühl des Verlustes dauerte auch noch nach dem erschreckten Aufwachen an. Schweiß tropfte von meiner Stirn und der Traum hallte in meinem Kopf nach, welcher angestrengt nach der Verdrängung desselbigen strebte. Jeder andere, vorangegangene Traum erschien mir besser als der letzte - es war mir peinlich, so etwas geträumt und es im Traum auch noch genossen zu haben, neben Mike zu liegen. Ich schob es vorrangig auf die Drogen, doch so genau glaubte ich mir das selber nicht mehr.
Es war verrückt. Doch ebenjener Traum machte mir nun wirklich klar, dass er mir mehr bedeuten musste. Ich musste mich mit der Frage auseinandersetzen, inwieweit ich dies zulassen konnte. Inwieweit ich Mike meine Gedanken zeigen durfte und inwieweit ich ihm vertrauen konnte. Doch darauf sollte ein anderer Traum die Antwort geben.
Die Straße kannte ich. Ich wusste genau, dass in 10 Meter Entfernung ein Zugang zu einer schmalen Häuserschlucht kommen würde. Ich erinnerte mich daran, was in dieser Straße passiert war. Wie mir die Typen aufgelauert hatten, um mich dann zu Boden zu stoßen, zu verprügeln, zu beleidigen - hastig blinzelte ich die Tränen weg, mein sich klärender Blick fiel auf drei große, bullige Kerle. Vages Erkennen blitzte auf - in mir zog sich alles zusammen, wollte fliehen, wollte sich unsichtbar machen, wollte einfach nur weg. Zu meinem Unglück liefen die Typen auf mich zu - bedrohlich ragten sie empor, ich fühlte mich klein und hilflos.
Doch bevor die anderen mich erreichen konnten, stellte sich eine vertraute Gestalt ihnen in den Weg. Ich kannte sie, fühlte mich sogleich etwas sicherer - doch dieser Eindruck hielt nicht lange an. Entsetzt musste ich zusehen, wie Mike in lauter Stimme auf die anderen einredete, mehrmals hörte ich ein „Lasst ihn in Ruhe“, heraus, auf das diese Idioten jedoch nicht zu hören schienen.
Wie beiläufig ließ sich Mike zurückfallen, holte Schwung und schmetterte demjenigen der drei Typen, der ihm am nächsten war, die Faust ins Gesicht, gefolgt vom Knie, das er in dessen Schritt rammte. Ein voller Erfolg. Der Kerl ging zu Boden, die anderen beiden traten einige Schritte zurück, taxierten Mike. Nur ich schrie entsetzt auf, lauter als der von Mike geschlagene Junge, lauter als alles andere. Dann drehte ich mich herum und hetzte davon. Ich wollte nicht zusehen, wie Mike sich meinetwegen schlug. Wie er meinetwegen sein Leben in Gefahr brachte. Warum tat er das nur?
„Weil du mir wichtig bist, Aiden.“, flüsterte eine körperlose Stimme in mein Ohr, brachte erneut mein Dilemma zum Ausdruck.
Ich war Mike wichtig: dazu brauchte ich keinen Traum, um das zu erkennen. Doch der Traum veranschaulichte es mir nochmals. Er vertraute mir, tat mir gut. Und ich?
Ich musste zugeben, dass Mike, egal ob es nun der Einfluss der drogenumnebelten Träume war oder meine eigene Erkenntnis, tatsächlich ein guter Freund für mich war. Etwas kostbares, dass ich nicht riskieren durfte, zu verlieren.
Doch ich wollte mehr als diese Freundschaft - viel mehr. Und das brachte mich endgültig wieder in die Realität und zu dem neben mir liegenden Mike, dessen Lippen verführerisch lockten. Sie sahen so weich aus, dass sie einfach geküsst werden mussten. Ich wollte sie schmecken, ertasten, erkunden, völlig vereinnahmen. Nervös berührte ich meinen Unterlippenpiercing mit der Zunge. Eigentlich hatte ich mir abgewöhnt, den Ring, welcher genau in der Mitte der Lippe platziert war, zu malträtieren, wenn ich aufgeregt war. Heute halfen alle Vorsätze nichts mehr.
16. Kapitel
Januar 1994 – Aiden
Was, verdammt, was würde nun geschehen? Wenn ich mich tatsächlich überwinden und seine Lippen mit meinen berühren könnte? Wenn ich meine verfluchte Feigheit besiegen und ihm so nahe kommen würde? Was zur Hölle würde dann passieren? Würde er mich angewidert wegstoßen? Wäre das das Ende unserer Freundschaft? Ängstlich verkrampfte sich mein Innerstes.
Oder würde er den Kuss erwidern? Mein Herz verdoppelte seine Geschwindigkeit bei diesen Gedanken. Adrenalin breitete sich in meinem Körper aus und meine Handgelenke kribbelten
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